17. Sätze über Lebesgueintegrierbare Funktionen


 

17.1 Konvergenzsätze

 

17.1.1 Fatous Lemma

 

Mit dem Satz über monotone Konvergenz haben wir bereits einen ersten Konvergenzsatz der Lebesgueschen Integrationstheorie kennengelernt. Mit Hilfe dieses Satzes erhält man das folgende grundlegende Restultat, für dessen Beweis wir aber auf die genannte Literatur verweisen.

 

Satz: Es seien \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) Lebesguemessbar und \( f^{(k)}\colon\Omega\to\overline{\mathbb R} \) eine Folge nichtnegativer und Lebesguemessbarer Funktionen, die punktweise fast überall in \( \Omega \) gegen eine Funktion \( f\colon\Omega\to\overline{\mathbb R} \) konvergiert. Dann gilt \[ \int\limits_\Omega f(x)\,d\ell_n(x)\le\liminf_{k\to\infty}\int\limits_\Omega f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x). \]

 

Bemerkung: Das Fatousche Lemma wird gewöhnlich noch schwächer formuliert ohne die Voraussetzung der punktweisen Konvergenz:

\( \to \) Es seien \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) Lebesguemessbar und \( f^{(k)}\colon\Omega\to\overline{\mathbb R} \) eine Folge nichtnegativer und Lebesguemessbarer Funktionen. Dann gilt

\[ \int\limits_\Omega\liminf_{k\to\infty}f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x) \le\liminf_{k\to\infty}\int\limits_\Omega f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x). \]

 

Beispiel: Die Funktionenfolge \[ f^{(k)}\colon\mathbb R\longrightarrow\mathbb R,\quad f^{(k)}(x):=\frac{1}{k}\,\chi_{[0,k]}(x),\ x\in\mathbb R, \] erfüllt \[ 1=\int\limits_{\mathbb R}f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x)\quad\mbox{für alle}\ k=1,2,\ldots \] und damit auch \[ 1=\lim_{k\to\infty}\int\limits_{\mathbb R}f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x)=\liminf_{k\to\infty}\int\limits_{\mathbb R}f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x). \] Wegen \( f^{(k)}\to 0 \) für \( k\to\infty \) punktweise in \( \mathbb R \) gelten hingegen \[ 0=\int\limits_{\mathbb R}\lim_{k\to\infty}f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x)=\int\limits_{\mathbb R}\liminf_{k\to\infty}f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x), \] so dass sogar die strikte Ungleichung im Fatouschen Lemma gilt.

 


 

 

17.1.2 Satz über majorisierte Konvergenz

 

Der Satz über majorisierte Konvergenz, auch Satz von Lebesgue, ist einer der wichtigsten Konvergenzsätze der Lebesgueschen Integrationstheorie. Der hier vorgestellte Beweis basiert auf folgendem Hilfssatz, dessen Behauptungen mit der Aussage des Fatouschen Lemmas verglichen werden sollten.

 

Hilfssatz: Es seien \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) eine Lebesguemessbare Menge, ferner \( f^{(k)}\colon\Omega\to\overline{\mathbb R} \) eine Folge Lebesguemessbarer Funktionen und \( g\colon\Omega\to\overline{\mathbb R} \) eine Lebesgueintegrierbare Funktion. Dann sind die folgenden Aussagen richtig:

(i) Ist \( g(x)\le f^{(k)}(x) \) in \( \Omega \) für alle \( k=1,2,\ldots, \) so gilt

\[ \int\limits_\Omega\liminf_{k\to\infty}f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x)\le\liminf_{k\to\infty}\int\limits_\Omega f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x). \]

(ii) Ist \( f^{(k)}(x)\le g(x) \) in \( \Omega \) für alle \( k=1,2,\ldots, \) so gilt

\[ \int\limits_\Omega\limsup_{k\to\infty}f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x)\ge\limsup_{k\to\infty}\int\limits_\Omega f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x). \]

 

Hierin spielt also \( g(x) \) einmal die Rolle einer Minorante, dann einer Majorante.

 

 

Beweisidee

 

Wir beweisen nur die Aussage (i). Unter den genannten Voraussetzungen ist zunächst die Differenz \[ f^{(k)}(x)-g(x)\ge 0\quad\mbox{in}\ \Omega \] nichtnegativ und Lebesguemessbar, so dass das Fatousche Lemma (dritte Formelzeile) liefert \[ \begin{array}{l} \displaystyle \int\limits_\Omega\liminf_{k\to\infty}f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x) -\int\limits_\Omega g(x)\,d\ell_n(x) \\ \qquad\qquad\displaystyle =\,\int\limits_\Omega\liminf_{k\to\infty}\big\{f^{(k)}(x)-g(x)\big\}\,d\ell_n(x) \\ \qquad\qquad\displaystyle \le\,\liminf_{k\to\infty}\int\limits_\Omega\big\{f^{(k)}(x)-g(x)\big\}\,d\ell_n(x) \\ \qquad\qquad\displaystyle =\,\liminf_{k\to\infty}\left(\,\int\limits_\Omega f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x)-\int\limits_\Omega g(x)\,d\ell_n(x)\right) \\ \qquad\qquad\displaystyle =\,\liminf_{k\to\infty}\int\limits_\Omega f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x) -\int\limits_\Omega g(x)\,d\ell_n(x). \end{array} \] Aus der Endlichkeit des Integrals über \( g(x) \) folgt die Behauptung.\( \qquad\Box \)

 

 

Wir kommen nun zu Lebesgues Satz über majorisierte Konvergenz.

 

Satz: Auf der Lebesguemessbaren Menge \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) sei \( \{f^{(k)}\}_{k=1,2,\ldots} \) eine Folge Lebesguemessbarer Funktionen, die in \( \Omega \) punktweise fast überall gegen eine Lebesguemessbare Funktion \( f\colon\Omega\to\overline{\mathbb R} \) konvergiere. Sei ferner \( g(x) \) Lebesgueintegrierbar mit \[ |f^{(k)}(x)|\le g(x)\quad\mbox{für alle}\ k=1,2,\ldots \] fast überall in \( \Omega. \) Dann ist auch \( f(x) \) Lebesgueintegrierbar in \( \Omega, \) und es gelten \[ \int\limits_\Omega f(x)\,d\ell_n(x)=\lim_{k\to\infty}\int\limits_\Omega f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x) \] sowie \[ \lim_{k\to\infty}\int\limits_\Omega|f(x)-f^{(k)}(x)|\,d\ell_n(x)=0. \]

 

Bemerkung: Die Lebesguemessbarkeit der Grenzfunktion \( f(x) \) folgt bereits aus Paragraph 15.1.4. Die eigentliche Regularitätsaussage ist die behauptete Lebesgueintegrierbarkeit unter der Annahme der Existenz einer Lebesgueintegrierbaren Majorante \( g(x). \) Man vergleiche den Satz über majorisierte Konvergenz mit unserem Satz über die Vertauschbarkeit von Integration und Grenzwert für das Riemannsche Integral aus Paragraph 8.7.1.

 

Bemerkung: In dem Lehrbuch zur Analysis 2 von R. Walter finden wir folgenden Satz von Arzela für das Riemannsche Integral:

 

\( \to \) Auf dem kompakten Intervall \( [a,b]\subset\mathbb R, \) \( -\infty\lt a\lt b\lt\infty, \) sei \( \{f^{(k)}\}_{k=1,2,\ldots} \) eine Folge Riemannintegrierbarer Funktionen, die punktweise auf \( [a,b] \) gegen eine Riemannintegrierbare Funktion \( f\colon[a,b]\to\mathbb R \) konvergiert, d.h.

\[ \lim_{k\to\infty}f^{(k)}(x)=f(x). \]

  Ferner existiere ein \( M\in[0,\infty) \) mit der Eigenschaft

\[ |f^{(k)}(x)|\le M\quad\mbox{für alle}\ x\in[a,b]\ \mbox{und alle}\ k=1,2,\ldots \]

  Dann gilt

\[ \lim_{k\to\infty}\int\limits_a^bf^{(k)}(x)\,d\ell_n(x)=\int\limits_a^bf(x)\,dx. \] Beachten Sie hierin erstens die Voraussetzung der Riemannintegrierbarkeit der Grenzfunktion, während eine solche Voraussetzung im Satz von Lebesgue nicht notwendig ist - die Lebesgueintegrierbarkeit ergibt sich im Beweis. Und zweitens bildet die gleichmäßige Majorisierung der Funktionen \( f^{(k)})(x) \) durch eine Konstante \( M\in[0,\infty) \) eine stärkere Voraussetzung, als wir sie aus dem Lebesgueschen Satz kennen, siehe dazu auch den nächsten Paragraphen.

 

 

Beweisidee des Satzes

 

Es sind zwei Aussagen zu beweisen.
1. Zunächst sind \( f^{(k)}(x) \) und \( f(x) \) Lebesgueintegrierbar (Übung). Weiter ist
\[ -g(x)\le f^{(k)}(x)\le g(x)\quad\mbox{für alle}\ k=1,2,\ldots \]
  fast überall in \( \Omega \) mit den Lebesgueintegrierbaren Funktionen \( -g(x) \) und \( g(x). \) Unter Beachtung der Konvergenz der Folge \( \{f^{(k)}\}_{k=1,2,\ldots} \) entnehmen wir aus dem vorigen Hilfssaatz
\[ \begin{array}{l} \displaystyle \limsup_{k\to\infty}\int\limits_\Omega f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x) \le\int\limits_\Omega\limsup_{k\to\infty}f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x) =\int\limits_\Omega f(x)\,d\ell_n(x) \\ \qquad\displaystyle =\int\limits_\Omega\liminf_{k\to\infty}f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x) \le\liminf_{k\to\infty}\int\limits_\Omega f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x). \end{array} \]
  In dieser Ungleichungskette gilt also überall Gleichheit, was bedeutet
\[ \int\limits_\Omega f(x)\,d\ell_n(x)=\lim_{k\to\infty}\int\limits_\Omega f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x). \]
2. Die zweite Aussage folgt analog den Ausführungen zum ersten Beweispunkt. Es ist dabei zu beachten, dass \( |f(x)-f^{(k)}(x)| \) punktweise fast überall in \( \Omega \) gegen \( 0 \) konvergiert und wie folgt majorisiert wird
\[ |f(x)-f^{(k)}(x)|\le 2g(x)\quad\mbox{für alle}\ k=1,2,\ldots \]
  fast überall in \( \Omega. \)

 

Damit ist der Satz bewiesen.\( \qquad\Box \)

 

 


 

 

17.1.3 Satz über beschränkte Konvergenz

 

Aus dem Satz über majorisierte Konvergenz erhalten wir als Spezialfall den

 

Satz: Auf der Lebesguemessbaren Menge \( \Omega\subset\mathbb R^n \) endlichen äußeren Lebesguemaßes sei durch \( f^{(k)}\colon\Omega\to\overline{\mathbb R} \) eine Folge Lebesguemessbarer Funktionen gegeben, die punktweise fast überall in \( \Omega \) gegen eine Lebesguemessbare Funktion \( f\colon\Omega\to\overline{\mathbb R} \) konvergiere. Sei ferner \( M\in[0,\infty) \) eine reelle Zahl mit \[ |f^{(k)}(x)|\le M\quad\mbox{für alle}\ k=1,2,\ldots \] fast überall in \( \Omega. \) Dann ist \( f(x) \) Lebesgueintegrierbar in \( \Omega, \) und es gelten \[ \int\limits_\Omega f(x)\,d\ell_n(x)=\lim_{k\to\infty}\int\limits_\Omega f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x) \] sowie \[ \lim_{k\to\infty}\int\limits_\Omega|f(x)-f^{(k)}(x)|\,d\ell_n(x)=0. \]

 

Bemerkung: Die Bedingung \( \ell_n^*(\Omega)\lt\infty \) ist hierin notwendig, da die Konstante \( M\in[0,\infty) \) die Lebesgueintegrierbare Majorante \( g(x) \) aus dem Satz über majorisierte Konvergenz ersetzen soll.

 


 

 

17.1.4 Lebesgueintegral und Riemannintegral

 

Wir wollen diesen Abschnitt erweitern durch zwei Resultate, die das eindimensionale Lebesgueintegral und das aus der Analysis 2 bekannte eindimensionale Riemannintegral in Zusammenhang setzen. Für die teils sehr umfangreichen Beweise verweisen wir erneut auf die genannte Vorlesungsliteratur.

 

Als Lebesguesches Kriterium zur Riemannintegrierbarkeit verstehen wir zunächst den

 

Satz: Auf dem kompakten Intervall \( [a,b]\subset\mathbb R, \) \( -\infty\lt a\lt b\lt\infty, \) sei \( f\colon[a,b]\to[\alpha,\beta] \) eine beschränkte Funktion. Dann ist \( f(x) \) auf \( [a,b] \) genau dann Riemannintegrierbar, wenn sie fast überall in \( [a,b] \) stetig ist, d.h. wenn die Menge ihrer Unstetigkeitsstellen eine Lebesguesche Nullmenge bildet.

 

Bemerkung: „Fast überall stetig“ bedeutet genauer, dass zu vorgegebenem \( \varepsilon\gt 0 \) die Menge der Unstetigkeitsstellen durch abzählbar viele offene Intervalle \( I_1,I_2,\ldots\subset\mathbb R \) überdeckt werden kann, so dass gilt \[ \sum_{k\ge 1}|I_k|\lt\varepsilon. \]

 

Bemerkung: Die Beschränktheit Riemannintegrierbarer Funktionen haben wir in Paragraph 8.2.3 als Satz bewiesen.

 

Diese auf H. Lebesgue zuückgehende Charakterisierung Riemannintegrierbarer Funktion suchen wir in der Riemanschen Integrationstheorie vergeblich - die zur Formulierung dieses Satzes benötigte Begriffswelt umfasst diese Theorie nicht.

 

Beispiel: Die Dirichletsche Sprungfunktion ist nicht Riemannintegrierbar, denn sie ist nirgends stetig.

 

Zweitens fügen wir hinzu den

 

Satz: Es seien \( [a,b]\subset\mathbb R \) kompakt und \( f\colon[a,b]\to\mathbb R \) beschränkt und Riemannintegrierbar. Dann ist \( f(x) \) auf \( [a,b] \) auch Lebesgueintegrierbar, und das eindimensionale Riemannsche Integral und das eindimensionale Lebesgueintegral stimmen überein, d.h. \[ \int\limits_a^bf(x)\,dx=\int\limits_{[a,b]}f(x)\,d\ell_n(x). \]

 


 

 

17.1.5 Aufgaben und Wiederholungsfragen

 

1. Was besagt das Fatousche Lemma?
2. Verifizieren Sie am Beispiel der Funktionenfolge

\[ f^{(k)}(x):=-\,\frac{1}{k}\,\chi_{[0,k]}(x),\quad x\in\mathbb R, \]

  dass auf die Voraussetzung der Nichtnegativität im Fatouschen Lemma nicht verzichtet werden kann.
3. Wie lautet der Satz über majorisierte Konvergenz?
4. Auf dem kompakten Intervall \( [0,1]\subset\mathbb R \) betrachten wir die Funktionenfolge

\[ f^{(0)}(x):=1,\quad f^{(k)}(x) :=\left\{ \begin{array}{cl} f^{(k-1)}(x), & \displaystyle\frac{1}{2^k}\lt x\le 1 \\ \displaystyle\frac{1}{2^k}\,, & \displaystyle 0\le x\le\frac{1}{2^k} \end{array} \right., \ k=1,2,\ldots \]

 
(i) Skizzieren Sie \( f^{(k)}(x) \) für \( k=1,2,3. \)
(ii) Die \( f^{(k)}(x) \) konvergieren punktweise in \( [0,1] \) gegen eine Funktion

\[ f(x)=\sum_{k=1}^\infty c_k\chi_{\Omega_k}(x). \]

 
  Bestimmen Sie hierzu geeignete Koeffizienten \( c_k\in\mathbb R \) sowie zugehörige halboffene, paarweise disjunkte Intervalle \( \Omega_k\subset\mathbb R. \)
(iii) Berechnen Sie \( \displaystyle\int_{[0,1]}f(x)\,d\ell_1(x) \) mit Hilfe des Satzes über majorisierte Konvergenz.
5. Es sei \( \Omega\subset\mathbb R^n \) Lebesguemessbar. Wir betrachten Lebesguemessbare Funktionen \( f^{(k)}\colon\Omega\to\mathbb R, \) für welche eine Lebesgueintegrierbare Funktion existiere mit der Eigenschaft

\[ \left|\,\sum_{k=1}^Nf^{(k)}(x)\right|\le g(x)\quad\mbox{für fast alle}\ x\in\Omega\ \mbox{und alle}\ k=1,2,\ldots \]

  Ferner sei

\[ f(x):=\sum_{k=1}^\infty f^{(k)}(x),\quad x\in\Omega, \]

  Lebesguemessbar in \( \Omega. \) Zeigen Sie, dass dann \( f(x) \) Lebesgueintegrierbar in \( \Omega \) ist, und dass gilt

\[ \int\limits_\Omega f(x)\,d\ell_n(x)=\sum_{k=1}^\infty\int\limits_\Omega f^{(k)}(x)\,d\ell_n(x). \]

  Hinweis: Betrachte die Partialsummen \( \displaystyle p^{(N)}(x):=\sum_{k=1}^Nf^{(k)}(x). \)
6. Wie lautet der Satz über beschränkte Konvergenz?
7. Auf dem kompakten Intervall \( [0,1]\subset\mathbb R \) betrachten wir die Funktionenfolge

\[ f^{(k)}(x):=\frac{kx}{1+k^2x^2}\,,\quad k=1,2,\ldots \]

 
(i) Skizzieren Sie \( f^{(k)}(x) \) für \( k=1,2,3. \)
(ii) Verifizieren Sie

\[ 0\le f^{(k)}(x)\le\frac{1}{2}\quad\mbox{für alle}\ x\in[0,1]\ \mbox{und alle}\ k=1,2,\ldots \]

 
(iii) Verifizieren Sie

\[ \lim_{k\to\infty}f^{(k)}(x)=0,\quad x\in[0,1]. \]

 
(iv) Folgern Sie mit Hilfe des Satzes über beschränkte Konvergenz

\[ \lim_{k\to\infty}\int\limits_{[0,1]}f^{(k)}(x)\,d\ell_1(x)=0. \]

8. Auf dem halboffenen Intervall \( [1,\infty)\subset\mathbb R \) betrachten wir die Funktionenfolge

\[ f^{(k)}(x):=\frac{\sqrt{x}}{2+kx^3}\,,\quad k=1,2,\ldots \]

 
(i) Skizzieren Sie \( f^{(k)}(x) \) für \( k=1,2,3. \)
(ii) Verifizieren Sie

\[ 0\le f^{(k)}(x)\le\frac{1}{k\sqrt{x}}\quad\mbox{für alle}\ x\in[1,\infty)\ \mbox{und alle}\ k=1,2,\ldots \]

 
(iii) Verifizieren Sie

\[ \lim_{k\to\infty}f^{(k)}(x)=0,\quad x\in[0,1]. \]

 
(iv) Ermitteln Sie mit Hilfe des Satzes über beschränkte Konvergenz

\[ \lim_{k\to\infty}\int\limits_{[1,\infty)}f^{(k)}(x)\,d\ell_1(x). \]

9. Welche auf H. Lebesgue zurückgehende Charakterisierung der Riemannintegrierbarkeit kennen Sie?
10. Beweisen Sie unter Verwendung des Lebesgueschen Kriteriums zur Riemannintegrierbarkeit, dass die Dirichletsche Sprungfunktion

\[ \chi_D(x) :=\left\{ \begin{array}{cl} 1, & \mbox{falls}\ x\in[0,1]\cap\mathbb Q \\ 0, & \mbox{falls}\ x\in[0,1]\setminus\mathbb Q \end{array} \right.,\quad x\in[0,1], \]

  nicht Riemannintegrierbar auf \( [0,1] \) ist.
11. Zeigen Sie unter Verwendung des Lebesgueschen Kriteriums zur Riemannintegrierbarkeit, dass die Funktion

\[ f(x) :=\left\{ \begin{array}{cl} 1, & \displaystyle\mbox{falls}\ \frac{1}{2n}\lt x\le\frac{1}{2n-1}\,,\ n=1,2,\ldots \\ 0, & \mbox{sonst} \end{array} \right. \]

  Riemannintegrierbar auf \( [0,1] \) ist.
12. Welchen Zusammenhang zwischen Riemannintegrierbarkeit und Lebesgueintegrierbarkeit von Funktionen \( f\colon[a,b]\to\mathbb R \) auf kompakten Mengen \( [a,b]\subset\mathbb R \) kennen Sie?

 

Rechenaufgaben: 2, 4, 5, 7, 8, 10, 11

 


 

17.2 Die Sätze von Fubini und Cavalieri

 

17.2.1 Doppelintegrierbare Funktionen

 

Der Satz von Fubini führt die Berechnung mehrdimensionaler Integrale auf die Berechnung niederdimensionaler Integrale zurück. Zur Formulierung dieses zentralen Satzes benötigen wir einen neuen Begriff.

 

Definition: Es heißt \( f\colon\mathbb R^m\times\mathbb R^n\to\overline{\mathbb R} \) iteriert integrierbar oder doppelintegrierbar, wenn die folgenden Aussagen gelten:

(i) Für fast alle \( x\in\mathbb R^m \) ist die Funktion

\[ f_x(y):=f(x,y),\quad x\in\mathbb R^m\,, \]

  über \( \mathbb R^n \) Lebesgueintegrierbar. In diesem Fall setzen wir

\[ F(x):=\int\limits_{\mathbb R^n}f_x(y)\,d\ell_n(y). \]

(ii) Die Funktion \( F\colon\mathbb R^m\to\mathbb R \) ist über \( \mathbb R^m \) Lebesgueintegrierbar. Wir setzen

\[ \int\limits_{\mathbb R^m}\int\limits_{\mathbb R^n}f(x,y)\,d\ell_n(y)d\ell_m(x):=\int\limits_{\mathbb R^m}F(x)\,d\ell_m(x). \]

(iii) Die Rollen von \( x \) und \( y \) dürfen vertauscht werden, d.h. es gelten die entsprechenden Aussagen mit vertauschten \( x \) und \( y. \)

 

Beispiel: Aus der iterierten Integrierbarkeit einer Funktion \( f\colon\mathbb R^m\times\mathbb R^n\to\mathbb R \) folgt nicht notwendig deren Lebesgueintegrierbarkeit. Betrachte dazu folgendes Beispiel:

1. Wir betrachten zunächst Funktionen \( g^{(k)}\colon\mathbb R\to\mathbb R \) vermöge

\[ g^{(k)}(x):=\frac{1}{\delta_{k+1}-\delta_k}\,\chi_{(\delta_k,\delta_{k+1})}(x),\quad \delta_k:=1-\frac{1}{k}\ \mbox{für}\ k=1,2,\ldots \]

  Für alle \( k=1,2,\ldots \) ist dabei erfüllt

\[ \begin{array}{lll} \displaystyle \int\limits_{[0,1]}g^{(k)}(x)\,d\ell_1(x)\negthickspace & = & \displaystyle\negthickspace \frac{1}{\delta_{k+1}-\delta_k}\,\int\limits_{[0,1]}\chi_{(\delta_k,\delta_{k+1})}(x)\,d\ell_1(x) \\ & = & \displaystyle\negthickspace \frac{1}{\delta_{k+1}-\delta_k}\int\limits_{(\delta_k,\delta_{k+1})}1\,d\ell_1(x) \,=\,1. \end{array} \]

2. Betrachte nun die Funktion

\[ f(x,y):=\sum_{k=1}^\infty\left\{g^{(k)}(x)-g^{(k+1)}(x)\right\}g^{(k)}(y),\quad(x,y)\in\mathbb R\times\mathbb R. \]

  Beachte, dass die Summanden in dieser unendlichen Reihe nur auf paarweise disjunkten Teilmengen von \( [\delta_k,\delta_{k+2}]\times[\delta_k,\delta_{k+1}] \) von Null verschieden sind.
 
(i) Nun gilt einerseits

\[ \begin{array}{lll} \displaystyle \int\limits_{[0,1]}f(x,y)\,d\ell_1(y)\negthickspace & = & \negthickspace\displaystyle \int\limits_{[0,1]}\,\sum_{k=1}^\infty\left\{g^{(k)}(x)-g^{(k+1)}(x)\right\}g^{(k)}(y)\,d\ell_1(y) \\ & = & \negthickspace\displaystyle \sum_{k=1}^\infty\left\{g^{(k)}(x)-g^{(k+1)}(x)\right\}\int\limits_{[0,1]}g^{(k)}(y)\,d\ell_1(y) \\ & = & \negthickspace\displaystyle \sum_{k=1}^\infty\left\{g^{(k)}(x)-g^{(k+1)}(x)\right\} \,=\,g^{(1)}(x), \end{array} \]

 
  woraus wir nach nochmaliger Integration schließen

\[ \int\limits_{[0,1]}\int\limits_{[0,1]}f(x,y)\,d\ell_1(y)d\ell_1(x) =\int\limits_{[0,1]}g^{(1)}(x)\,d\ell_1(x) =1. \]

 
(ii) Andererseits ermitteln wir

\[ \begin{array}{lll} \displaystyle \int\limits_{[0,1]}f(x,y)\,d\ell_1(x)\negthickspace & = & \negthickspace\displaystyle \sum_{k=1}^\infty g^{(k)}(y)\int\limits_{[0,1]}\left\{g^{(k)}(x)-g^{(k+1)}(x)\right\}\,d\ell_1(x) \\ & = & \negthickspace\displaystyle \sum_{k=1}^\infty g^{(k)}(y)\cdot(1-1) \,=\,0 \end{array} \]

 
  und damit

\[ \int\limits_{[0,1]}\int\limits_{[0,1]}f(x,y)\,d\ell_1(x)d\ell_1(y) =\int\limits_{[0,1]}0\,d\ell_1(y) =0. \]

  Die iterierten Doppelintegrale existieren, sind aber nicht gleich.
3. Zerlegen wir die Funktion \( f(x,y) \) wie üblich in die Anteile \( f(x,y)^+ \) und \( f(x,y)^-, \) d.h.

\[ f(x,y)^+=\sum_{k=1}^\infty g^{(k)}(x)g^{(k)}(y),\quad f(x,y)^-=\sum_{k=1}^\infty g^{(k+1)}(x)g^{(k)}(y), \]

  so überzeugen wir uns schnell, dass beide Anteile nicht Lebesgueintegrierbar sind, da die jeweiligen Integrale divergieren. Also ist auch \( f(x,y) \) nicht Lebesgueintegrierbar.

 

Wann stimmen nun solche iterierten Doppelintegrale überein? Und was können wir über die Lebesgueintegrierbarkeit aussagen?

 


 

 

17.2.2 Das Prinzip des Cavalieri

 

Eine erste Antwort auf diese Fragen liefert das sogenannte Prinzip des Cavalieri, für dessen Beweis wir auf die Vorlesungsliteratur verweisen.

 

Satz: Es sei \( \Omega\subset\mathbb R^m\times\mathbb R^n \) eine Lebesguemessbare Menge endlichen äußeren Lebesguemaßes. Dann sind die folgenden Aussagen richtig:

(i) Für fast alle \( x\in\mathbb R^m \) ist die Menge

\[ \Omega_x:=\{y\in\mathbb R^n\,:\,(x,y)\in\Omega\}\subset\mathbb R^n \]

  Lebesguemessbar im \( \mathbb R^n \) mit endlichem äußeren Lebesguemaß.
(ii) Die Funktion \( x\mapsto\ell_n^*(\Omega_x) \) ist Lebesguemessbar im \( \mathbb R^m. \)
(iii) Es gilt

\[ \ell_{m+n}^*(\Omega)=\int\limits_{\mathbb R^m}\ell_n^*(\Omega_x)\,d\ell_m(x). \]

 

Bemerkung: Dieser Satz sagt tatsächlich aus, dass die charakteristische Funktion \( \chi_\Omega(x,y) \) iteriert integrierbar ist und dass beide Doppelintegrale \[ \int\limits_{\mathbb R^m}\ell_n^*(\Omega_x)\,d\ell_m(x) \quad\mbox{und}\quad \int\limits_{\mathbb R^n}\ell_m^*(\Omega_y)\,d\ell_n(x) \] gleich sind, d.h. genauer mit \( \ell_{m+n}^*(\Omega) \) übereinstimmen.

 


 

 

17.2.3 Der Satz von Fubini

 

Das Prinzip des Cavalieri erweitern wir nun wie folgt zu dem Satz von Fubini:

 

Satz: Jede Lebesgueintegrierbare Funktion \( f\colon\mathbb R^m\times\mathbb R^n\to\overline{\mathbb R} \) ist iteriert integrierbar, und es gilt \[ \begin{array}{lll} \displaystyle \int\limits_{\mathbb R^{m+n}}f(x,y)\,d\ell_{m+n}(x,y)\negthickspace & = & \negthickspace\displaystyle \int\limits_{\mathbb R^m}\int\limits_{\mathbb R^n}f(x,y)\,d\ell_n(y)d\ell_m(x) \\ & = & \negthickspace\displaystyle \int\limits_{\mathbb R^n}\int\limits_{\mathbb R^m}f(x,y)\,d\ell_m(x)d\ell_n(x). \end{array} \]

 

Beweisidee

 

Wir benennen nur kurz die einzelnen Beweisschritte und verweisen für Details auf das Vorlesungsmanuskript zur Analysis III von Herrn Professor Manfred Lehn.

1. Nach dem Prinzip des Cavalieri ist die Behauptung für charakteristische Funktionen \( \chi_\Omega(x,y) \) Lebesguemessbarer Mengen \( \Omega\subset\mathbb R^m\times\mathbb R^n \) endlichen äußeren Lebesguemaßes richtig.
2. Ist desweiteren

\[ f(x,y)=\sum_{i=1}^Nc_i\chi_{\Omega_i}(x,y) \]

  eine einfache Funktion mit endlichem Lebesgueintegral auf den Lebesguemessbaren Mengen \( \Omega_i\subset\mathbb R^{m+n} \) endlichen Maßes, so folgt die Behauptung aus der Linearität des Integrals.
3. Ist \( f\colon\Omega\to\mathbb R \) eine nichtnegative Lebesguemessbare Funktion, so finden wir zunächst eine monoton wachsende Folge \( \{f^{(k)}\}_{k=1,2,\ldots} \) nichtnegativer und einfacher Funktionen mit \( f^{(k)}\nearrow f. \) Man kann zeigen, dass dann \( f(x,y) \) iteriert integrierbar ist, und dass

\[ \int\limits_{\mathbb R^m}\int\limits_{\mathbb R^n}f^{(k)}(x,y)\,d\ell_n(y)d\ell_m(x) =\int\limits_{\mathbb R^{m+n}}f^{(k)}(x,y)\,d\ell_{m+n}(x,y) \]

  für \( k\to\infty \) gegen das Doppelintegral

\[ \int\limits_{\mathbb R^{m+n}}f(x,y)\,d\ell_{m+n}(x,y) \]

  über die Grenzfunktion \( f(x,y) \) konvergiert.
4. Ist \( f\colon\Omega\to\overline{\mathbb R} \) Lebesgueintegrierbar, so wenden wir diese Argumente auf ihre nichtnegativen Anteile \( f^+ \) und \( f^- \) an.

 

Damit beschließen wir unsere Beweisidee.\( \qquad\Box \)

 


 

 

 

17.2.4 Anwendung: Fläche unterhalb von Graphen

 

Es sei \( f\colon[a,b]\to\mathbb R \) eine nichtnegative, stetige Funktion auf dem kompakten Intervall \( [a,b]\subset\mathbb R. \) Der Graph von \( f(x) \) und die \( x \)-Achse umfassen den Bereich \[ \Omega:=\{(x,y)\in\mathbb R^2\,:\,a\le x\le b,\ 0\le y\le f(x)\}\subset\mathbb R^1\times\mathbb R^1\,. \] Das Komplement dieser Menge ist offen, d.h. \( \Omega \) ist abgeschlossen und somit Lebesguemessbar mit endlichem äußeren Lebesguemaß.

 

Wir setzen nun \[ \Omega_x :=\{y\in\mathbb R\,:\,(x,y)\in\Omega\} =\left\{ \begin{array}{cl} [0,f(x)], & \mbox{falls}\ x\in[a,b] \\ \emptyset, & \mbox{sonst} \end{array} \right.. \] Das Cavalierische Prinzip liefert dann die bekannte Inhaltsformel \[ \ell_2^*(\Omega) =\int\limits_{[a,b]}\ell_1^*(\Omega_x)\,d\ell_1(x) =\int\limits_{[a,b]}f(x)\,d\ell_1(x) =\int\limits_a^bf(x)\,dx. \] Die dritte Gleichheit beinhaltet die bereits diskutierte Tatsache, dass in dem betrachteten Fall das eindimensionale Lebesgueintegral mit dem eindimensionalen Riemannintegral übereinstimmt.

 


 

 

17.2.5 Anwendung: Inhalt von Normalbereichen

 

Die vorigen Betrachtungen lassen sich unmittelbar verallgemeinern auf zweidimensionale Normalbereiche bez. der \( y \)-Achse \[ \Omega:=\{(x,y)\in\mathbb R^2\,:\,a\le x\le b,\ f(x)\le y\le g(x)\}\subset\mathbb R^1\times\mathbb R^1 \] mit zwei stetigen Funktionen \( f,g\colon[a,b]\to\mathbb R \) auf der kompakten Menge \( [a,b]\subset\mathbb R, \) die \( f(x)\le g(x) \) für alle \( x\in[a,b] \) erfüllen. Es gilt dann nämlich (als Übung zu zeigen) \[ \ell_2^*(\Omega)=\int\limits_a^b\big\{g(x)-f(x)\big\}\,dx. \]

 


 

 

17.2.6 Aufgaben und Wiederholungsfragen

 

1. Was versteht man unter einer doppelintegrierbaren bzw. iteriert integrierbaren Funktion?
2. Formulieren Sie das Prinzip des Cavalieri.
3. Arbeiten Sie die Abschnitte Allgemeines und Anwendungsbeispiele auf der Wikipedia-Seite „Prinzip von Cavalieri“ aus.
4. Wie lautet der Satz von Fubini?
5. Berechnen Sie mit Hilfe des Satzes von Fubini das Integral

\[ \int\limits_\Omega\frac{d\ell_2(x,y)}{(x+y)^2}\quad\mbox{mit}\ \Omega:=[1,2]\times[3,4]. \]

6. Berechnen Sie mit Hilfe des Satzes von Fubini das Integral

\[ \int\limits_\Omega 1\,d\ell_2(x,y)\quad\mbox{mit}\ \Omega:=\{(x,y)\in\mathbb R^2\,:\,2\le x\le 3,\ x\le y\le x^2\}\,. \]

7. Berechnen Sie mit Hilfe des Satzes von Fubini das Integral

\[ \int\limits_\Omega(2x+y+z)\,d\ell_3(x,y,z), \]

  wobei \( \Omega \) der von den Koordinatenebenen und der Ebene \( x+y+z=1 \) begrenzte Körper ist.
8. Was versteht man unter einem zweidimensionalen Normalbereich bez. der \( y \)-Achse?
9. Berechnen Sie den von dem Graphen der Funktion

\[ f(x):=x^3+\frac{1}{2}\,x^2-x,\quad x\in[0,1], \]

  und der \( x \)-Achse eingeschlossenen Flächeninhalt. Fertigen Sie dazu eine Skizze an.
10. Berechnen Sie den von den Graphen der Funktionen

\[ f(x):=-x^5+x^3-1,\quad g(x):=x^2-\frac{1}{2}\,,\quad x\in[0,1], \]

  eingeschlossenen Flächeninhalt. Fertigen Sie dazu eine Skizze an.

 

Rechenaufgaben: 3, 5, 6, 7, 9, 10

 


 

17.3 Die Transformationsformel

 

17.3.1 Die Inhaltsformel

 

Wir betrachten eine Lipschitzstetige Abbildung \( \Phi\colon\Omega\subseteq\mathbb R^n\to\mathbb R^m \) mit der charakteristischen Eigenschaft \[ |\Phi(x)-\Phi(y)|\le L|x-y|\quad\mbox{für alle}\ x,y\in\Omega \] mit einer Lipschitzkonstanten \( L\ge 0. \) Nach einem Satz von Rademacher ist \( \Phi(x) \) fast überall differenzierbar. Aus Gründen der Einfachheit wollen wir aber im Folgenden \( \Phi\in C^1(\Omega,\mathbb R^m) \) annehmen sowie \[ \mbox{det}\,\partial\Phi(x)^t\circ\partial\Phi(x)\not=0\quad\mbox{in}\ \Omega \] mit der Jacobischen Matrix \( \partial\Phi(x)\in\mathbb R^m\times\mathbb R^n \) der Abbildung \( \Phi(x). \)

 

Es gilt nun die Inhaltsformel \[ \int\limits_\Omega\sqrt{\det\partial\Phi(x)^t\circ\partial\Phi(x)}\,d\ell_n(x) =\int\limits_{\mathbb R^m}{\mathcal H}^0(\Omega\cap\Phi^{-1}(\{y\}))\,d{\mathcal H}(y) \] mit dem \( n \)-dimensionalen Hausdorffmaß \( {\mathcal H}^n, \) auf welches wir in Kapitel 18 zu sprechen kommen, und dem sogenannten Zählmaß \( {\mathcal H}^0. \) Für Details verweisen auf

 

Evans, L.C., Gariepy, R.F.: Measure theory and fine properties of functions. Taylor & Francis Inc., 1991a.

 

Die in der Inhaltsformel auftretende Abbildung \[ y\mapsto{\mathcal H}^0(\Omega\cap\Phi^{-1}(\{y\})) \] bezeichnet man als Multiplizitätsfunktion. Ist insbesondere \( \Phi(x) \) injektiv, so berechnet sich der Inhalt der Bildmenge \( \Phi(\Omega)\subset\mathbb R^m \) gemäß \[ {\mathcal H}^n(\Phi(\Omega)) =\int\limits_\Omega\sqrt{\det\partial\Phi(x)^t\circ\partial\Phi(x)}\,d\ell_n(x). \]

 


 

 

17.3.2 Anwendung: Die Länge einer Kurve

 

Betrachte ein kompaktes Intervall \( [a,b]\subset\mathbb R \) und darauf das Bild \( \Phi([a,b])\subset\mathbb R^m \) einer bijektiven und \( C^1 \)-regulären Abbildung \( \Phi\colon\mathbb R\to\mathbb R^m \) mit den Komponenten \( \Phi(x)=(\varphi_1(x),\ldots,\varphi_m(x)). \) Es ist \[ \partial\Phi(x)=(\varphi_1'(x),\ldots,\varphi_m'(x))^t\in\mathbb R^m\,,\quad x\in[a,b], \] und damit \[ \sqrt{\det\partial\Phi(x)^t\circ\partial\Phi(x)} =\sqrt{\varphi_1'(x)^2+\ldots+\varphi_m'(x)^2}\,\gt 0 \quad\mbox{für alle}\ x\in[a,b]. \] Die Länge der von der bijektiven Abbildung \( \Phi(x) \) erzeugten Kurve \( C:=\Phi([a,b]), \) also der Wert \( {\mathcal H}^1(C), \) berechnet sich daher gemäß \[ {\mathcal L}[C]:=\int\limits_a^b|\Phi'(x)|\,dx=\int\limits_a^b\sqrt{\varphi_1'(x)^2+\ldots+\varphi_m'(x)^2}\,dx \] mit dem Euklidischen Betrag \( |\cdot|\colon\mathbb R^m\to[0,\infty). \) Es ist also ein eindimensionales Integral auszuwerten. Einen Zusammenhang zwischen dem Riemannschen und dem Lebesgueschen Integral in einer Variable haben wir bereits in Paragraph 17.1.4 diskutiert und eben hier angewandt.

 

Beispiel: Die Länge der von der bijektiven Abbildung \( \Phi(x)=(x,x^2), \) \( x\in[0,1], \) erzeugten Kurve \( C\subset\mathbb R^2 \) ermitteln wir zu \[ {\mathcal L}[C]=\int\limits_0^1\sqrt{1+4x^2}\,dx=1.4789\ldots \]

 


 

 

17.3.3 Anwendung: Zweidimensionale Graphen im \( \mathbb R^3 \)

 

Es sei \[ \Phi(x,y)=(\varphi_1(x,y),\varphi_2(x,y),\varphi_3(x,y))=(x,y,u(x,y)),\quad(x,y)\in\Omega\subset\mathbb R^2\,, \] mit einer \( C^1 \)-regulären, den zweidimensionalen Flächengraphen erzeugenden Funktion \( u\colon\Omega\to\mathbb R \) gegeben. Es ist zunächst \[ \partial\Phi(x,y) =\left( \begin{array}{cc} \varphi_{1,x}(x,y) & \varphi_{1,y}(x,y) \\ \varphi_{2,x}(x,y) & \varphi_{2,y}(x,y) \\ \varphi_{3,x}(x,y) & \varphi_{3,y}(x,y) \end{array} \right) =\left( \begin{array}{cc} 1 & 0 \\ 0 & 1 \\ u_x(x,y) & u_y(x,y) \end{array} \right) \] und damit \[ \partial\Phi(x,y)^t\circ\partial\Phi(x,y) =\left( \begin{array}{cc} 1+u_x(x,y)^2 & u_x(x,y)u_y(x,y) \\ u_x(x,y)u_y(x,y) & 1+u_y(x,y)^2 \end{array} \right) \] bzw. (aus Gründen der Übersichtlichkeit lassen wir die Argumente weg) \[ \sqrt{\det\partial\Phi^t\circ\partial\Phi} =\sqrt{1+u_x^2+u_y^2} =\sqrt{1+|\nabla u|^2} \] mit dem Gradienten \[ \nabla u(x,y)=(u_x(x,y),u_y(x,y))\in\mathbb R^2\,. \] Der Flächeninhalt des von der bijektiven Abbildung \( \Phi(x,y) \) erzeugten Flächengraphen \( M:=\Phi(\Omega), \) also der Wert \( {\mathcal H}^2(M), \) berechnet sich nun zu \[ {\mathcal A}[M]:=\int\limits_\Omega\sqrt{1+|\nabla u(x,y)|^2}\,d\ell_2(x,y). \] Es ist also ein zweidimensionales Lebesgueintegral auszuwerten. In konkreten Beispielen werden wir hierzu die Transformationsformel und den Satz von Fubini bzw. das Cavalierische Prinzip heranziehen.

 


 

 

17.3.4 Die Transformationsformel

 

Wir kommen nun zu einer der wichtigsten Identitäten der Integrationstheorie.

 

Satz: Es seien \( U\subseteq\mathbb R^n \) eine offene Menge und \( \Phi\colon U\to\Phi(U)=:V \) ein \( C^1 \)-regulärer Diffeomorphismus mit der Eigenschaft \[ \det\partial\Phi(x)\not=0\quad\mbox{für alle}\ x\in U. \] Ist nun \( f\colon V\to\mathbb R \) eine Lebesguemessbare Funktion, so ist \( f(y) \) genau dann über \( \Phi(U) \) Lebesgueintegrierbar, wenn \[ (f\circ\Phi(x))|\det\partial\Phi(x)| \] über \( U \) Lebesgueintegrierbar ist, und in diesem Fall gilt \[ \int\limits_{\Phi(U)}f(y)\,d\ell_n(y) =\int\limits_U(f\circ\Phi(x))|\det\partial\Phi(x)|\,d\ell_n(x). \]

 


 

 

17.3.5 Beispiel: Inhalt der Kreisscheibe

 

Wir wollen den Inhalt der zweidimensionalen Kreisscheibe \[ B_R:=\{(x,y)\in\mathbb R^2\,:\,x^2+y^2\le R^2\} \] vom Radius \( R\gt 0 \) ermitteln. Dazu setzen wir zunächst \[ \widetilde B_R:=B_R\setminus\big[\{(x,y)\in\mathbb R^2\,:\,y=0,\ 0\le x\le R\}\cup\{(x,y)\in\mathbb R^2\,:\,x^2+y^2=R^2\}\big] \] und führen auf der offenen Menge \[ \Omega:=(0,R)\times(0,2\pi) \] zweidimensionale Polarkoordinaten ein vermittels \[ \Phi\colon\Omega\longrightarrow\widetilde B_R\,,\quad \Phi(r,\vartheta) :=\left( \begin{array}{c} r\cos\vartheta \\ r\sin\vartheta \end{array} \right). \] Die Abbildung \( \Phi(r,\vartheta) \) ist auf \( \Omega \) stetig differenzierbar. Wir berechnen \[ \partial\Phi(r,\vartheta) =\left( \begin{array}{cc} \cos\vartheta & -r\sin\vartheta \\ \sin\vartheta & r\cos\vartheta \end{array} \right) \] und damit \[ \det\partial\Phi(r,\vartheta)=r\gt 0\quad\mbox{in}\ \Omega. \] Auf \( \Omega\subset\mathbb R^2 \) stellt \( \Phi(r,\vartheta) \) einen Diffeomorphismus auf \( \widetilde B_R \) dar, was nachträglich die Wahl von \( \widetilde B_R, \) was sich von \( B_R \) nur durch eine Lebesguesche Nullmenge unterscheidet, rechtfertigt.

 

Wir berechnen daher und unter Zuhilfenahme der Transformationsformel für Mehrfachintegrale, des Satzes von Fubini (Zwischenüberlegungen, wie beispielsweise in Paragraph 17.2.4 übergehen wir) sowie unserem Kriterium zur Gleichheit des eindimensionalen Lebesgue- und des eindimensionalen Riemannintegrals \[ \begin{array}{lll} \displaystyle \int\limits_{B_R}1\,d\ell_2(x,y)\negthickspace & = & \negthickspace\displaystyle \int\limits_{\widetilde B_R}1\,d\ell_2(x,y) \,=\,\int\limits_\Omega r\,d\ell_2(r,\vartheta) \\ & = & \negthickspace\displaystyle \int\limits_{(0,R)}\int\limits_{(0,2\pi)}r\,d\ell_1(\vartheta)d\ell_1(r) \,=\,\int\limits_0^R\,\int\limits_0^{2\pi}r\,d\vartheta dr \,=\,\pi R^2\,. \end{array} \] Das ist der gesuchte Inhalt der Kreisscheibe \( B_R\subset\mathbb R^2 \) vom Radius \( R\gt 0. \)

 

Bemerkung: Die nichtlineare Koordinatentransformation \( \Phi\colon\Omega\to\widetilde B_R \) überführt die krummlinig berandete Menge \( \widetilde B_R, \) die sich von \( B_R \) nur durch eine Lebesguesche Nullmenge unterscheidet, in die Menge \( \Omega, \) die sich als Mengenprodukt darstellen lässt und daher die Anwendung des Fubinischen Satzes erlaubt.

 


 

 

17.3.6 Aufgaben und Wiederholungsfragen

 

1. Berechnen Sie die Länge der durch die Abbildung

\[ \Phi(x)=(\cos x,\sin x),\quad x\in[0,2\pi], \]

  gegebenen Kurve im \( \mathbb R^2. \) Um welche Kurve handelt es sich? Skizzieren Sie.
2. Berechnen Sie die Länge der durch die Abbildung

\[ \Phi(x)=(e^x\cos 2\pi x,e^x\sin 2\pi x),\quad x\in[0,2\pi], \]

  gegebenen logarithmischen Spirale im \( \mathbb R^2. \) Skizzieren Sie die Kurve.
3. Wie lautet die Transformationsformel?
4. Berechnen Sie den Inhalt

\[ A:=\int_B1\,d\ell_2(x,y) \]

  der zweidimensionalen Einheitskreisscheibe

\[ B:=\{(x,y)\in\mathbb R^2\,:\,x^2+y^2\le 1\}\,. \]

  Führen Sie dazu Polarkoordinaten

\[ x=r\cos\varphi,\quad y=r\sin\varphi \]

  auf einem geeigneten Parameterbereich ein, und verwenden Sie die Transformationsformel für Mehrfachintegrale. Fertigen Sie eine Skizze an.
5. Berechnen Sie das Volumen

\[ V:=\int\limits_B1\,d\ell_3(x,y,z) \]

  des dreidimensionalen Einheitsballes

\[ B:=\{(x,y,z)\in\mathbb R^3\,:\,x^2+y^2+z^2\le 1\}\,. \]

  Führen Sie dazu Kugelkoordinaten

\[ x=r\sin\vartheta\cos\varphi,\quad y=r\sin\vartheta\sin\varphi,\quad z=r\cos\vartheta \]

  auf einem geeigneten Parameterbereich ein, und verwenden Sie die Transformationsformel für Mehrfachintegrale. Fertigen Sie eine Skizze an.
6. Es sei \( \Phi(x,y)=(x,y,u(x,y)) \) gegeben mit der Funktion

\[ u(x,y):=xy,\quad (x,y)\in\Omega:=\{(x,y)\in\mathbb R^2\,:\,x^2+y^2\le 1\}\,. \]

  Berechnen Sie den Inhalt \( {\mathcal A}(\Phi(\Omega)) \) der von \( \Phi(x,y) \) erzeugten Sattelfläche. Skizzieren Sie.
7. Verifzieren Sie: Im Fall

\[ \Phi(u,v)=(x(u,v),y(u,v),z(u,v)),\quad(u,v)\in\Omega\subseteq\mathbb R^2\,, \]

  mit Koordinatenabbildungen \( x,y,z\in C^1(\Omega,\mathbb R) \) gilt für den Inhalt der erzeugten Fläche

\[ {\mathcal A}(\Phi(\Omega))=\int\limits_\Omega|\Phi_u(u,v)\times\Phi_v(u,v)|\,d\ell_2(u,v) \]

  mit dem gewöhnlichen Kreuzprodukt \( a\times b \) zweier Vektoren \( a,b\in\mathbb R^3. \)
8. Es sei nun \( \Phi(u,v) \) nach Aufgabe 7 wie folgt gegeben

\[ \Phi(u,v)=(\sin u,\cos u,v),\quad (u,v)\in\Omega:=\{(u,v)\in\mathbb R^2\,:\,u\in[0,2\pi],\ v\in[-1,1]\}\,. \]

  Berechnen Sie den Inhalt \( {\mathcal A}(\Phi(\Omega)) \) der von \( \Phi(u,v) \) erzeugten Zylinderfläche. Skizzieren Sie.
9. Arbeiten Sie das Beispiel auf der Wikipedia-Seite: „Transformationssatz“ aus, und zeigen Sie die Richtigkeit von

\[ \left(\,\int\limits_{-\infty}^\infty e^{-x^2}\,dx\right)^2 =\int\limits_{-\infty}^\infty\left(\,\int\limits_{-\infty}^\infty e^{-x^2-y^2}\,dx\right)dy =\pi. \]

10. Es sei \( S\subset\mathbb R^2 \) ein Sektor, der von zwei Strahlen \( \varphi=\alpha \) und \( \varphi=\beta \) und einer in Polarkoordinaten durch \( r=R(\varphi), \) \( \alpha\le\varphi\le\beta, \) gegebenen Kurve berandet wird. Beweisen Sie die Formel

\[ {\mathcal A}(S) =\int\limits_S1\,d\ell_2(x,y) =\int\limits_{\varphi=\alpha}^{\varphi=\beta}\left(\,\int\limits_{r=0}^{R(\varphi)}r\,dr\right) =\frac{1}{2}\,\int\limits_{\varphi=\alpha}^{\varphi=\beta}R(\varphi)^2\,d\varphi. \]

 

 

 

 

11. Bestimmen Sie den Inhalt des \( 3 \)-blättrigen Kleeblatts mit

\[ R(\varphi)\le\left|\,\sin\frac{3\varphi}{2}\right|,\quad 0\le\varphi\le 2\pi. \]

  Skizzieren Sie.

 

Rechenaufgaben: 1, 2, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11

 


 

17.4 Lebesgueräume

 

17.4.1 Definition

 

Wir beginnen diesen Abschnitt mit der

 

Definition: Ist die Funktion \( f\colon\Omega\to\overline{\mathbb R} \) auf der Lebesguemessbaren Menge \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) Lebesgueintegrierbar, so schreiben wir \[ f\in{\mathcal L}^1(\Omega). \] Für reelles \( p\in[1,\infty) \) setzen wir ferner \[ {\mathcal L}^p(\Omega):=\{f\colon\Omega\to\overline{\mathbb R}\,:\,|f|^p\in{\mathcal L}^1(\Omega)\}\,. \]

 

Bemerkung: Nach Paragraph 16.3.4 ist eine Funktion \( f\colon\Omega\to\overline{\mathbb R} \) genau dann Lebesgueintegrierbar, wenn \( |f(x)| \) Lebesgueintegrierbar ist.

 


 

 

17.4.2 Lebesgue-Halbnormen

 

Auf dem Raum \( {\mathcal L}^1(\Omega) \) führen wir nun vermöge \[ \|f\|_1:=\int\limits_\Omega|f(x)|\,d\ell_n(x) \] eine Halbnorm ein. Insbesondere ist nämlich die Eigenschaft (warum?) \[ \|f\|_1=0,\quad\mbox{dann auch}\quad f=0 \] nicht erfüllt, und \( \|\cdot\|_1 \) stellt keine Norm dar, wie wir es in der Analysis 2 kennengelernt haben.

 

Verallgemeinernd setzen wir \[ \|f\|_p:=\left(\int\limits_\Omega|f(x)|^p\,d\ell_n(x)\right)^\frac{1}{p}\,,\quad f\in{\mathcal L}^p(\Omega). \] Es ist \( \|\cdot\|_p \) ebenfalls eine Halbnorm.

 

Satz: Der Funktionenraum \( {\mathcal L}^p(\Omega) \) ist ein Vektorraum. Ferner gelten für alle \( f,g\in{\mathcal L}^p(\Omega) \) \[ \|\lambda f\|_p=|\lambda|\|f\|_p\quad\mbox{für alle}\ \lambda\in\mathbb R \] sowie die Dreiecksungleichung \[ \|f+g\|_p\le\|f\|_p+\|g\|_p\,. \]

 

Der Beweis, den wir an dieser Stelle übergehen wollen, benötigt die Höldersche Ungleichung \[ \int\limits_\Omega|f(x)g(x)|\,d\ell_n(x) \le\left(\,\int\limits_\Omega|f(x)|^p\,d\ell_n(x)\right)^\frac{1}{p}\cdot\left(\,\int\limits_\Omega|g(x)|^q\,d\ell_n(x)\right)^\frac{1}{q} \] für beliebige reellwertige Exponenten \( p,q\ge 1 \) mit der Eigenschaft \[ \frac{1}{p}+\frac{1}{q}=1. \] Die Dreiecksungleichung ist die sogenannte Minkowskische Ungleichung \[ \left(\,\int\limits_\Omega|f(x)+g(x)|^p\,d\ell_n(x)\right)^\frac{1}{p} \le\left(\,\int\limits_\Omega|f(x)|^p\,d\ell_n(x)\right)^\frac{1}{p}+\left(\,\int\limits_\Omega|g(x)|^p\,d\ell_n(x)\right)^\frac{1}{p} \] für relle Exponenten \( p\ge 1. \)

 


 

 

17.4.3 Der Satz von Fischer-Riesz

 

Vom \( {\mathcal L}^p(\Omega) \) gehen wir nun zu den Lebesgueschen Funktionenräumen über. Zunächst vergewissert man sich davon, dass die Relation \[ f\sim g\quad\mbox{genau dann, wenn}\quad f=g\ \mbox{fast überall in}\ \Omega \] eine Äquivalenzrelation darstellt.

 

Definition: Wir setzen \[ L^p(\Omega):={\mathcal L}^p(\Omega)/\!\sim\,. \]

 

Nach der Identifizierung von Funktionen, die gleich sind fast überall in \( \Omega, \) ist nun auch die Normabbildung \[ \|\cdot\|_p\colon L^p(\Omega)\longrightarrow[0,\infty) \] wohldefiniert. Man nimmt diese Identifizierung auch gedanklich stets wahr und schreibt \( f(x) \) statt dem aus der Analysis 1 bekannten Äquivalenzklassensymbol \( [f(x)]. \)

 

Unter dem Satz von Fischer-Riesz versteht man nun folgende Erweiterung des Satzes aus dem vorigen Paragraphen:

 

Satz: Der Raum \( (L^p(\Omega),\|\cdot\|_p) \) ist ein Banachraum.

 

Für einen Beweis verweisen wir auf die genannte Vorlesungsliteratur.

 


 

 

17.4.4 Aufgaben und Wiederholungsfragen

 

1. Definieren Sie die Funktionenräume \( {\mathcal L}^1(\Omega) \) und \( {\mathcal L}^p(\Omega). \)
2. Begründen Sie, weshalb \( \|\cdot\|_1 \) aus Paragraph 17.4.2 keine Norm auf \( {\mathcal L}^1(\Omega) \) darstellt.
3. Es seien \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) Lebesguemessbar und \( p,q\gt 1 \) mit \( p^{-1}+q^{-1}=1. \) Ferner seien \( f,g\colon\Omega\to\mathbb R \) zwei Funktionen. Beweisen Sie: Sind \( |f|^p \) und \( |g|^q \) Lebesgueintegrierbar über \( \Omega, \) so auch \( |fg|, \) und es gilt die Höldersche Ungleichung

\[ \int\limits_\Omega|f(x)g(x)|\,d\ell_n(x) \le\left(\,\int\limits_\Omega|f(x)|^p\,d\ell_n(x)\right)^\frac{1}{p}\left(\,\int\limits_\Omega|g(x)|^q\,d\ell_n(x)\right)^\frac{1}{q}\,. \]

  Benutzen Sie dabei die aus der Analysis 2 bekannte Ungleichung

\[ ab\le\frac{a^p}{p}+\frac{b^q}{q}\quad\mbox{für alle}\ a,b\ge 0\ \mbox{und}\ p,q\gt 1\ \mbox{wie oben.} \]

4. Für den Fall \( \ell_n^*(\Omega)\lt\infty \) ist zu mit Hilfe voriger Aufgabe zu beweisen: Ist \( |f|^p \) für \( p\ge 1 \) Lebesgueintegrierbar, so auch \( |f|, \) d.h. in diesem Fall gilt \( {\mathcal L}^p(\Omega)\subseteq{\mathcal L}^1(\Omega). \)
5. Verifizieren Sie, dass die Relation \( \sim \) aus Paragraph 17.4.3 eine Äquivalenzrelation darstellt.
6. Definieren Sie die Funktionenräume \( L^p(\Omega) \) für \( p\ge 1. \)
7. Wiederholen Sie aus der Analysis 2 die Begriffe einer Cauchyfolge und des Banachraumes.
8. Was besagt der Satz von Fischer und Riesz?

 

Rechenaufgaben: 2, 3, 4, 5, 7