1. Grundlagen
1.1.1 Aussagen und Aussageformen
Mathematik ist das Aufstellen und Analysieren von Aussagen, wie zum Beispiel:
Die erste Aussage ist richtig, die zweite falsch. Über den Wahrheitsgehalt der dritten Aussage köonnen wir nicht abschließend entscheiden, sind aber überzeugt, dass sie entweder wahr oder falsch ist.
Definition: Eine Aussage ist ein umgangssprachlicher Satz, der entweder wahr oder falsch ist.
Diese Definition beinhaltet die Zweiwertigkeit der Aussagenlogik. Außer wahr und falsch gibt keine weitere, dritte Möglichkeit.
Es gibt auch sprachliche Formulierungen, die keine Aussagen sind, da wir ihnen auf sinnvolle Weise keinen Wahrheitswert zuordnen können, wie Glückwünsche, Fragen oder Aufforderungen der folgenden Art:
Mathematische Ausdrücke, wie
bezeichnen wir als Aussageformen. Sie werden zu Aussagen, nachdem wir einmal den „Platzhalter“ \( x \) durch eine Zahl substituieren und so \( x+7=28 \) zu einer wahren oder einer falschen Aussage machen, oder \( {\mathcal R}(x,y,z) \) beispielsweise als die Relation \( x\lt y\lt z \) interpretieren, was die Aussage \( {\mathcal R}(x,y,z) \) in unserem Beispiel falsch macht.
Aufgaben
Aufgabe 1.1.1: (Beispiele für Aussagen)
Welche der folgenden Sätze sind Aussagen, welche sind keine Aussagen?
(i) | Berlin ist die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. |
(ii) | Alle Studenten sind fleißig. |
(iii) | Gestern hat es den ganzen Tag geregnet. |
(iv) | Reisen bildet. |
(v) | Hat die Vorlesung bereits begonnen? |
(vi) | Mathematik soll also schwer sein! |
(i) | Es handelt sich um eine Aussage. |
(ii) | Es handelt sich um eine Aussage. |
(iii) | Es handelt sich um eine Aussage. |
(iv) | Es handelt sich um eine Aussage. |
(v) | Es handelt sich nicht um eine Aussage. |
(vi) | Es handelt sich nicht um eine Aussage. |
Damit ist die Aufgabe gelöst.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.2: (Eigene Beispiele für Aussagen)
Formulieren Sie wenigstens
(i) | fünf eigene Beispiele für Aussagen, |
(ii) | fünf eigene Beispiele von Sätzen, die keine Aussagen sind. |
(i) | Fünf Beispiele für Aussagen sind: | ||||||||||
|
|||||||||||
(ii) | Fünf Beispiele von Sätzen, die keine Aussagen sind: | ||||||||||
|
Das sind unsere geforderten Beispiele.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.3: (Aussageformen)
Geben Sie jeweils ein Beispiel einer mathematischen Aussageform \( {\mathcal R}(x) \) mit einer, \( {\mathcal S}(x,y) \) mit zwei und \( {\mathcal T}(x,y,z) \) mit drei freien Variablen, so dass
(i) | \( {\mathcal R}(6) \) wahr ist, |
(ii) | \( {\mathcal S}(1,7) \) wahr ist, |
(iii) | \( {\mathcal T}(1,3,12) \) wahr ist. |
(i) | \( {\mathcal R}(x) \) sei die Aussageform \( x-6=0, \) dann ist \( {\mathcal R}(6) \) wahr. |
(ii) | \( {\mathcal S}(x,y) \) sei die Aussageform \( x\cdot y=7, \) dann ist \( {\mathcal S}(1,7) \) wahr. |
(iii) | \( {\mathcal T}(x,y,z) \) sei die Aussageform \( y=x+z, \) dann ist \( {\mathcal T}(1,13,12) \) wahr. |
Das haben wir Aussageformen mit den geforderten Eigenschaften angegeben.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.4: (Ungelöste Probleme der Mathematik)
Formulieren Sie als Aussagen je zwei
(i) | ungelöste Probleme der Mathematik, |
(ii) | unmöglich lösbare Probleme der Mathematik. |
(i) | Gibt es unendlich viele Primzahlzwillinge? Läßt sich jede gerade natürliche Zahl, die größer oder gleich \( 4 \) ist, als Summe zweier Primzahlen schreiben (Goldbachvermutung)? |
(ii) | Nicht möglich ist die Konstruktion eines zu einem gegebenen Kreis flächengleiches Quadrat in endlich vielen Schritten im Rahmen der elementaren Euklidischen Geometrie (Quadratur des Kreises). Nicht möglich ist auch ein Beweis Cantorschen Kontinuumshypothese, nach der es keine Menge gibt, deren Mächtigkeit echt größer ist als die der natürlichen Zahlen und echt kleiner als die der reellen Zahlen. |
Das sind unsere geforderten Beispiele.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.5: (Primzahlen und Primzahlzwillinge)
Erstellen Sie eine Liste aller Primzahlen kleiner oder gleich \( 300. \) Kennzeichnen Sie insbesondere alle in Ihrer Liste enthaltenen Primzahlzwillinge.
Zunächst die Liste der Primzahlen:
2 | 3 | 5 | 7 | 11 | 13 | 17 | 19 |
23 | 29 | 31 | 37 | 41 | 43 | 47 | 53 |
59 | 61 | 67 | 71 | 73 | 79 | 83 | 89 |
97 | 101 | 103 | 107 | 109 | 113 | 127 | 131 |
137 | 139 | 149 | 151 | 157 | 163 | 167 | 173 |
179 | 181 | 191 | 193 | 197 | 199 | 211 | 223 |
227 | 229 | 233 | 239 | 241 | 251 | 257 | 263 |
269 | 271 | 277 | 281 | 283 | 293 |
In der Liste finden sich die folgenden Primzahlzwillinge:
(2,3) | (3,5) | (5,7) | (11,13) |
(17,19) | (29,31) | (41,43) | (59,61) |
(71,73) | (101,103) | (107,109) | (137,139) |
(149,151) | (179,181) | (191,193) | (197,199) |
(227,229) | (239,241) | (269,271) | (281,283) |
Das sind die gesuchten Primzahlen und Primzahlzwillinge.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.6: (Primzahldrillinge)
Zeigen Sie: Es ist \( (3,5,7) \) das einzig mögliche Beispiel eines Primzahldrillings, so dass also \( p, \) \( p+2 \) und \( p+4 \) mit \( p\ge 3 \) drei aufeinander folgende Primzahlen sind. Gehen Sie dabei wie folgt vor:
\( \circ \) | Angenommen, \( (p,p+2,p+4) \) ist ein Primzahldrilling mit \( p\gt 3. \) |
\( \circ \) | Als Primzahl besitzt \( p \) nach Division durch \( 3 \) den Rest \( 1 \) oder \( 2. \) |
\( \circ \) | Welche Reste besitzen dann \( p+2 \) und \( p+4 \) nach Division durch \( 3? \) |
Warum führt diese Argumentation im Fall \( p=3 \) nicht zum Widerspruch?
Es sei \( (p,p+2,p+4) \) ein Primzahldrilling mit \( p\gt 3. \) Dann besitzt \( p \) nach Division durch \( 3 \) entweder den Rest \( 1 \) oder den Rest \( 2. \)
\( \circ \) | Besitzt \( p \) nach Division durch \( 3 \) den Rest \( 1, \) so ist \( p+2 \) ohne Rest durch \( 3 \) teilbar und damit keine Primzahl. Das ist ein Widerspruch. |
\( \circ \) | Besitzt \( p \) nach Division durch \( 3 \) den Rest \( 2, \) so ist \( p+1 \) ohne Rest durch \( 3 \) teilbar und damit keine Primzahl. Das ist ebenfalls ein Widerspruch |
Es kann also keinen Primzahldrilling \( (p,p+2,p+4) \) mit \( p\gt 3 \) geben. Andererseits wissen wir, dass \( (3,5,7) \) ein Primzahldrilling ist. Vorige Argumentation ist nicht anwendbar, da in diesem Fall \( p \) ohne Rest durch \( 3 \) teilbar ist.\( \qquad\Box \)
Ein umgangssprachlicher Satz kann grammatikalisch korrekt sein, inhaltlich aber eine logische Paradoxie darstellen. So kennt jeder das Beispiel
Dieser Satz ist falsch.
Ist nämlich dieser Satz wahr, so ist er nach seiner eigenen Behauptung falsch. Ist er aber falsch, so muss er mit derselben Begründung doch wahr sein.
Was stimmt aber nun?
Offenbar werden verschiedene Sprachebenen vermischt: Der Ausdruck dieser Satz
\( \circ \) | bezieht sich einmal auf den umgangssprachlichen Satz Dieser Satz ist falsch, |
\( \circ \) | dann aber auch auf das Subjekt des Satzes Dieser Satz ist falsch. |
Um Paradoxien dieser Art zu vermeiden, wird die Aussagenlogik zunächst auf
\( \circ \) | axiomatische Art und Weise |
d.h. rein formal, aufbauend auf endlich vielen Axiomen und Schlussregeln und ohne jede inhaltliche Interpretation formuliert. Aussagen werden dann allein vermittels der Axiome und Schlussregeln nach strengen Beweisregeln in neue Aussagen überführt.
Erst im zweiten Schritt wird dieser syntaktischen Form der Logik eine
\( \circ \) | semantische Formulierung |
gegenübergestellt. Hierunter versteht man beispielsweise eine Zuordnung von Aussagen und Aussagenverknüpfungen in die aus den beiden natürlichen Zahlen \( 0 \) und \( 1 \) bestehende Menge \( \{0,1\} \) oder in die Menge \( \{f,w\}, \) wobei \( 0 \) bzw. \( f \) für falsch und \( 1 \) bzw. \( w \) für wahr stehen.
Wahr und falsch sind also semantische Begriffe, denen innerhalb der Aussagenlogik die syntaktischen Begriffe beweisbar bzw. nicht beweisbar gegenüberstehen.
Im Folgenden diskutieren wir wichtige Aspekte der Semantik der Aussagenlogik, die für die mathematische Analysis wichtig sind. Daran anschließend geben wir einen ersten Einblick in die axiomatische Methode, da wir auch später mit verschiedenen Axiomensystemen zu arbeiten haben. Bei dieser Gelegenheit und nur aus historischem Interesse stellen wir verschiedene Axiomensysteme der Aussagenlogik dar.
Aufgaben
Aufgabe 1.1.7: (Ein einfaches Beispiel zur Selbstbezüglichkeit)
Aus ➝ Zoglauer (2008), Seite 16, entnehmen wir das folgende Beispiel:
Dieser Sats enthält drei Feler.
Welche drei Fehler sind gemeint?
Der Satz enthält zwei syntaktische Fehler in Form von Rechtschreibfehlern, und auf der metasprachlichen Ebene findet sich der dritte Fehler, nämlich die Behauptung, es gäbe drei Fehler, was dann aber selbst der dritte gesuchte Fehler ist.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.8: (Die Lügnerparadoxie)
In dem Brief des Paulus an Titus (Der notwendige Kampf gegen Irrlehren) lesen wir (Zitat nach Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, Seite "Paradoxon des Epimenides"):
Es hat einer von ihnen gesagt, ihr eigener Prophet: Die Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäche.
Im Jahre 1908 greift ➝ Russell (1908) dieses Zitat wieder auf:
The oldest contradiction of the kind in question is the Epimenides. Epimenides the Cretan said that all Cretans were liars, and all other statements made by Cretans were certainly lies. Was this a lie?
Das ist die Quelle einer der bekanntesten logischen Paradoxien: Alle Kreter lügen (siehe ➝ Zoglauer (2008)). Diskutieren Sie diese Paradoxie.
Es handelt sich um eine Selbstbezüglichkeit. Alle Kreter lügen, aber diese Aussage stammt ebenso von einem Kreter.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.9: (Russells Barbier-Paradoxie)
In ➝ Russell (2010), Seite 101, finden wir folgende Paradoxie:
I once had a form suggested to me which was not valid, namely the question whether the barber shaves himself or not. You can define the barber as "one who shaves all those, and those only, who do not shave themselves." The question is, does the barber shave himself? In this form the contradiction is not very difficult to solve ...
Wie nämlich ist dieser Widerspruch auflösbar?
Es handelt sich um eine Selbstbezüglichkeit. Der Barbier rasiert all jene und nur jene, die sich nicht selbst rasieren. Rasiert er sich also selbst, gehört er zu jenen, die sich nicht selbst rasieren. Rasiert er sich aber selbst, so sollte er als Barbier sich doch selbst rasieren.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.10: (Zoglauers Kannibalen-Paradoxie)
Aus ➝ Zoglauer (2008), Abschnitt 1.2, entnehmen wir das folgende Beispiel einer Paradoxie:
Ein Reisender gerät unter Kannibalen, die ihn gefangen nehmen und anschließend zur Bereicherung ihres Speiseplanes essen wollen. Die Kannibalen sind sich nur noch nicht einig, wie sie ihn zubereiten sollen. Sie bieten ihm an, er könne irgendeine Aussage machen. Wenn die Aussage wahr ist, werde er gekocht, und wenn sie falsch ist, werde er geröstet ... Daher wird der Reisende entweder gekocht oder geröstet, aber dem unstillbaren Hunger der Kannibalen scheint er nicht entkommen zu können. Trotzdem fand der Reisende einen logischen Ausweg ... Seine Aussage lautet: „Das, was ich jetzt sage, ist falsch.“ Dieser Satz stürzte die Kannibalen in große Verwirrung ...
Was könnte die Kannibalen denn in Verwirrung gebracht haben?
Es handelt sich um eine Selbstbezüglichkeit. Ist das, was der Reisende sagt, wahr, so ist es falsch, und ist es falsch, so ist es wahr. Vertauscht werden der Wahrheitsgehalt einer Aussage an sich und der Wahrheitsgehalt dessen, über was eine Aussage gemacht wird.\( \qquad\Box \)
1.1.3 Verknüpfungen von Aussagen
Mathematische Aussagen bezeichnen wir mit kleinen Buchstaben a, b, c usw. Wir ordnen ihnen genau einen der beiden Wahrheitswerte zu:
entweder \( 1 \) (wahr) oder \( 0 \) (falsch)
Aussagen setzen wir durch folgende Junktoren miteinander in Beziehung \[ \neg\,,\quad \wedge\,,\quad \vee\,,\quad \to\,,\quad \leftrightarrow\,. \] In dieser Reihenfolge bedeuten sie: nicht, und, oder, folgt (impliziert), äquivalent.
Aussagenverknüpfungen stellen wieder gewöhnliche Aussagen dar. Die Bedeutungen dieser Verknüpfungen definieren wir anhand einer Wahrheitstabelle:
\( a \) | \( b \) | \( \neg a \) | \( \neg b \) | \( a\wedge b \) | \( a\vee b \) | \( a\to b \) | \( b\to a \) | \( a\leftrightarrow b \) |
\( 0 \) | \( 0 \) | \( 1 \) | \( 1 \) | \( 0 \) | \( 0 \) | \( 1 \) | \( 1 \) | \( 1 \) |
\( 0 \) | \( 1 \) | \( 1 \) | \( 0 \) | \( 0 \) | \( 1 \) | \( 1 \) | \( 0 \) | \( 0 \) |
\( 1 \) | \( 0 \) | \( 0 \) | \( 1 \) | \( 0 \) | \( 1 \) | \( 0 \) | \( 1 \) | \( 0 \) |
\( 1 \) | \( 1 \) | \( 0 \) | \( 0 \) | \( 1 \) | \( 1 \) | \( 1 \) | \( 1 \) | \( 1 \) |
Beispiel: Es besitzen \( a\to b \) und \( \neg a\vee b \) dieselben Wahrheitstabellen:
\( a \) | \( b \) | \( a\to b \) | \( \neg a \) | \( \neg a\vee b \) |
\( 0 \) | \( 0 \) | \( 1 \) | \( 1 \) | \( 1 \) |
\( 0 \) | \( 1 \) | \( 1 \) | \( 1 \) | \( 1 \) |
\( 1 \) | \( 0 \) | \( 0 \) | \( 0 \) | \( 0 \) |
\( 1 \) | \( 1 \) | \( 1 \) | \( 0 \) | \( 1 \) |
Sie heißen daher im aussagenlogischen Sinn äquivalent, i.Z. \[ (a\to b)\equiv(\neg a\vee b). \] Die runden Klammern geben dabei an, in welcher Reihenfolge die Verknüpfungen auszuführen sind. Wir vereinbaren: Von der höchsten zur niedrigsten Priorität sind der Reihe nach auszuführen \( \neg, \) \( \wedge, \) \( \vee, \) \( \to, \) \( \leftrightarrow. \)
Aussagenverknüpfungen stellen wieder gewöhnliche Aussagen dar.
Aufgaben
Aufgabe 1.1.11: (Doppelte Verneinung)
Beweisen Sie die folgende aussagenlogische Äquivalenz vermittels einer Wahrheitstabelle: \[ \neg\neg a\equiv a. \]
Betrachte die folgende Wahrheitstabelle:
\( a \) | \( \neg a \) | \( \neg\neg a \) |
\( 0 \) | \( 1 \) | \( 0 \) |
\( 1 \) | \( 0 \) | \( 1 \) |
Also gilt \( a\equiv\neg\neg a.\qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.12: (Idempotenzgesetze der Aussagenlogik)
Beweisen Sie die folgenden aussagenlogische Äquivalenz vermittels einer Wahrheitstabelle:
(i) | \( a\equiv(a\vee a) \) |
(ii) | \( a\equiv(a\wedge a) \) |
(i) | Betrachte die folgende Wahrheitstabelle: | ||||||
|
|||||||
Also gilt \( a\equiv(a\vee a). \) | |||||||
(ii) | Betrachte die folgende Wahrheitstabelle: | ||||||
|
|||||||
Also gilt \( a\equiv(a\wedge a). \) |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.13: (Äquivalenzen der Implikation)
Beweisen Sie die folgenden aussagenlogischen Äquivalenzen vermittels Wahrheitstabellen:
(i) | \( a\to b\equiv \neg a\vee b \) |
(ii) | \( a\to b\equiv \neg b\to\neg a \) |
(iii) | \( a\leftrightarrow b\equiv(a\vee\neg b)\wedge(\neg a\vee b) \) |
(i) | Setze \( \alpha:=a\to b \) und \( \beta:=\neg a\vee b. \) Dann ist | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also gilt \( a\to b\equiv \neg a\vee b. \) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(ii) | Setze \( \alpha:=a\to b \) und \( \beta:=\neg b\to\neg a. \) Dann ist | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Also gilt \( a\to b\equiv \neg b\to \neg a. \) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(iii) | Setze \( \alpha:=a\leftrightarrow b \) und \( \beta:=(a\vee\neg b)\wedge(\neg a\vee b). \) Dann ist | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Also gilt \( a\leftrightarrow b\equiv(a\vee\neg b)\wedge(\neg a\vee b). \) |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.14: (Kommutativität der Disjunktion und Konjunktion)
Beweisen Sie die folgenden aussagenlogischen Äquivalenzen vermittels Wahrheitstabellen:
(i) | \( a\vee b\equiv b\vee a \) |
(ii) | \( a\wedge b\equiv b\wedge a \) |
(i) | Betrachte die folgende Wahrheitstabelle: | ||||||||||||||||||||
|
|||||||||||||||||||||
Also gilt \( a\vee b\equiv b\vee a. \) | |||||||||||||||||||||
(ii) | Betrachte die folgende Wahrheitstabelle: | ||||||||||||||||||||
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|||||||||||||||||||||
Also gilt \( a\wedge b\equiv b\wedge a. \) |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.15: (Assoziativgesetze der Aussagenlogik)
Beweisen Sie die folgenden aussagenlogischen Äquivalenzen vermittels Wahrheitstabellen:
(i) | \( a\vee(b\vee c)\equiv(a\vee b)\vee c \) |
(ii) | \( a\wedge(b\wedge c)\equiv(a\wedge b)\wedge c \) |
(i) | Setze \( \alpha:=a\vee(b\vee c) \) und \( \beta:=(a\vee b)\vee c. \) Dann ist | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also gilt \( a\vee(b\vee c)\equiv(a\vee b)\vee c. \) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(ii) | Setze \( \alpha:=a\wedge(b\wedge c) \) und \( \beta:=(a\wedge b)\wedge c. \) Dann ist | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also gilt \( a\wedge(b\wedge c)\equiv(a\wedge b)\wedge c. \) |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.16: (Distributivgesetze der Aussagenlogik)
Beweisen Sie die folgenden aussagenlogischen Äquivalenzen vermittels Wahrheitstabellen:
(i) | \( a\wedge(b\vee c)\equiv(a\wedge b)\vee(a\wedge c) \) |
(ii) | \( a\vee(b\wedge c)\equiv(a\vee b)\wedge(a\vee c) \) |
(i) | Setze \( \alpha:=a\wedge(b\vee c) \) und \( \beta:=(a\wedge b)\vee(a\wedge c). \) Dann ist | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also gilt \( a\wedge(b\vee c)\equiv(a\wedge b)\vee(a\wedge c). \) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(ii) | Setze \( \alpha:=a\vee(b\wedge c) \) und \( \beta:=(a\vee b)\wedge(a\vee c). \) Dann ist | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also gilt \( a\vee(b\wedge c)\equiv(a\vee b)\wedge(a\vee c). \) |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.17: (Verschmelzung von Disjunktion und Konjunktion)
Beweisen Sie die folgenden aussagenlogischen Äquivalenzen vermittels Wahrheitstabellen:
(i) | \( a\equiv a\wedge(a\vee b) \) |
(ii) | \( a\equiv a\vee(a\wedge b) \) |
(i) | Wir setzen \( \alpha:=a\wedge(a\vee b). \) Dann ist | ||||||||||||||||||||
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Also gilt \( a\equiv a\wedge(a\vee b). \) | |||||||||||||||||||||
(ii) | Wir setzen \( \alpha:=a\vee(a\wedge b). \) Dann ist | ||||||||||||||||||||
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Also gilt \( a\equiv a\vee(a\wedge b). \) |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.18: (de Morgansche Regeln der Aussagenlogik)
Beweisen Sie die folgenden aussagenlogischen Äquivalenzen vermittels Wahrheitstabellen:
(i) | \( \neg(a\wedge b)\equiv\neg a\vee\neg b \) |
(ii) | \( \neg(a\vee b)\equiv\neg a\wedge\neg b \) |
(i) | Betrachte die folgende Wahrheitstabelle: | |||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also gilt \( \neg(a\wedge b)\equiv\neg a\vee\neg b. \) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(ii) | Betrachte die folgende Wahrheitstabelle: | |||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also gilt \( \neg(a\vee b)\equiv\neg a\wedge\neg b. \) |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
1.1.4 Aussagenlogische Beweisprinzipien
Definition: Unter einer Tautologie verstehen wir eine Aussage, die unabhängig von der Belegung ihrer Variablen durch die Wahrheitswerte \( 0 \) oder \( 1 \) stets wahr ist.
Beispiele solcher Tautologien, die auch gleichzeitig grundlegende mathematische Beweisprinzipien darstellen, beinhaltet der
Satz: Die folgenden Aussagen sind Tautologien:
\( \circ \) | Satz vom ausgeschlossenen Dritten | \( a\vee\neg a \) |
\( \circ \) | Satz vom Widerspruch | \( \neg(a\wedge\neg a) \) |
\( \circ \) | Satz von der doppelten Verneinung | \( \neg(\neg a)\to a \) |
\( \circ \) | Satz von der Kontraposition | \( (a\to b)\leftrightarrow(\neg b\to\neg a) \) |
\( \circ \) | Satz zum modus ponens | \( (a\to b)\wedge a\to b \) |
\( \circ \) | Satz zum modus tollens | \( (a\to b)\wedge\neg b\to\neg a \) |
\( \circ \) | Satz zum modus barbara (Kettenschluss) | \( (a\to b)\wedge(b\to c)\to(a\to c) \) |
Hievon möchten wir vier Beweisprinzipien in Worte wiedergeben:
\( \circ \) | Satz vom ausgeschlossenen Dritten |
entweder es gilt \( a, \) oder es gilt nicht \( a \) | |
\( \circ \) | Satz vom Widerspruch |
eine Aussage \( a \) und ihre Negation \( \neg a \) können nicht gleichzeitig wahr sein | |
\( \circ \) | modus ponens (direkter Beweis) |
gilt \( a, \) und folgt \( b \) aus \( a, \) so gilt auch \( b \) | |
\( \circ \) | modus tollens (indirekter Beweis) |
gilt \( \neg b, \) kann aber \( b \) aus \( a \) abgeleitet werden, so ist \( a \) falsch |
Im Gegensatz zu Tautologien sind Kontradiktionen Aussagen, die unabhängig von der Belegung ihrer Variablen durch Wahrheitswerte stets falsch sind.
Aufgaben
Aufgabe 1.1.19: (Beispiele aussagenlogischer Tautologien I)
Beweisen Sie die folgenden aussagenlogischen Tautologien vermittels Wahrheitstabellen:
(i) | \( a\vee(b\wedge\neg b)\to a \) |
(ii) | \( a\wedge(b\vee\neg b)\to a \) |
Die Aussage (ii) bezeichnet man auch als reductio ad absurdum (indirekter Beweis oder Beweis durch Widerspruch).
(i) | Setze zur Abkürzung \( \varphi:=a\vee(b\wedge\neg b)\to a, \) und betrachte folgende Wahrheitstabelle: | ||||||||||||||||||||||||||||||
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Also stellt \( a\vee(b\wedge\neg b)\to a \) eine Tautologie dar. | |||||||||||||||||||||||||||||||
(ii) | Setze zur Abkürzung \( \varphi:=a\wedge(b\vee\neg b)\to a, \) und betrachte folgende Wahrheitstabelle: | ||||||||||||||||||||||||||||||
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Also stellt \( a\wedge(b\vee\neg b)\to a \) eine Tautologie dar. |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.20: (Beispiele aussagenlogischer Tautologien II)
Beweisen Sie die folgenden aussagenlogischen Tautologien vermittels Wahrheitstabellen:
(i) | Satz vom ausgeschlossenen Dritten | \( a\vee\neg a \) |
(ii) | Satz vom Widerspruch | \( \neg(a\wedge\neg a) \) |
(iii) | Satz von der doppelten Verneinung | \( \neg(\neg a)\to a \) |
(iv) | Satz von der Kontraposition | \( (a\to b)\to(\neg b\to\neg a) \) |
(i) | Betrachte die folgende Wahrheitstabelle: | |||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also stellt \( a\vee\neg a \) eine Tautologie dar. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(ii) | Betrachte die folgende Wahrheitstabelle: | |||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also stellt \( \neg(a\wedge\neg a) \) eine Tautologie dar. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(iii) | Betrachte die folgende Wahrheitstabelle: | |||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also stellt \( \neg(\neg a)\to a \) eine Tautologie dar. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(iv) | Setze zur Abkürzung \( \varphi:=(a\to b)\to(\neg b\to\neg a), \) und betrachte folgende Wahrheitstabelle: | |||||||||||||||||||||||||||||||||||
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||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Also stellt \( (a\to b)\to(\neg b\to\neg a) \) eine Tautologie dar. |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.21: (Beispiele aussagenlogischer Tautologien III)
Beweisen Sie die folgenden aussagenlogischen Tautologien vermittels Wahrheitstabellen:
(i) | Satz zum modus ponens | \( (a\to b)\wedge a\to b \) |
(ii) | Satz zum modus tollens | \( (a\to b)\wedge\neg b\to\neg a \) |
(iii) | Satz zum modus barbara | \( (a\to b)\wedge(b\to c)\to(a\to c) \) |
(i) | Satz zum modus ponens - setze zur Abkürzung \( \varphi:=(a\to b)\wedge a\to b \) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also ist \( (a\to b)\wedge a\to b \) eine Tautologie. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(ii) | Satz zum modus tollens - setze zur Abkürzung \( \varphi:=(a\to b)\wedge\neg b\to\neg a \) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also ist \( (a\to b)\wedge\neg b\to\neg a \) eine Tautologie. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
(iii) | Satz zum modus barbara - setze zur Abkürzung \( \varphi:=(a\to b)\wedge(b\to c)\to(a\to c) \) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Also ist \( (a\to b)\wedge(b\to c)\to(a\to c) \) eine Tautologie. |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.22: (Weitere Beispiele aussagenlogischer Tautologien)
Beweisen Sie die folgenden aussagenlogischen Tautologien vermittels Wahrheitstabellen:
(i) | \( a\to((a\to b)\to b) \) |
(ii) | \( a\to(b\to(a\to b)) \) |
(iii) | \( \neg(a\to a)\to b \) |
(iv) | \( \neg(a\to b)\to\neg b \) |
(v) | \( \neg(a\to b)\to a \) |
(i) | Wir setzen \( \alpha:=(a\to b)\to b \) und \( \beta:=a\to((a\to b)\to b). \) Dann ist | ||||||||||||||||||||||||||||||
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Also ist \( a\to((a\to b)\to b \) eine Tautologie. | |||||||||||||||||||||||||||||||
(ii) | Wir setzen \( \alpha:=b\to(a\to b) \) und \( \beta:=a\to(b\to(a\to b)). \) Dann ist \) | ||||||||||||||||||||||||||||||
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Also ist \( a\to(b\to(a\to b)) \) eine Tautologie. | |||||||||||||||||||||||||||||||
(iii) | Wir setzen \( \alpha:=\neg(a\to a)\to b. \) Dann ist | ||||||||||||||||||||||||||||||
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Also ist \( \neg(a\to a)\to b \) eine Tautologie. | |||||||||||||||||||||||||||||||
(iv) | Wir setzen \( \alpha:=\neg(a\to b)\to\neg b. \) Dann ist | ||||||||||||||||||||||||||||||
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Also ist \( \neg(a\to b)\to\neg b \) eine Tautologie. | |||||||||||||||||||||||||||||||
(v) | Wir setzen \( \alpha:=\neg(a\to b)\to a. \) Dann ist | ||||||||||||||||||||||||||||||
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Also ist \( \neg(a\to b)\to a \) eine Tautologie. |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
In der Mathematik haben wir es mit Variablen \( x,y,\ldots \) als Elemente von Individuenmengen \( X \) zu tun. Für ihre Beschreibung benötigen wir die beiden folgenden Quantoren.
Definition: Es sei \( p \) eine von einer Variablen \( x \) aus einer Individuenmenge \( X \) abhängige Aussageform. Der Allquantor \( \forall \) und der Existenzquantor \( \exists \) sind dann wie folgt definiert:
\( \circ \) | \( \forall x\in X\,p(x) \) |
sprich: für alle Elemente \( x \) aus \( X \) ist die Aussage \( p(x) \) wahr | |
\( \circ \) | \( \exists x\in X\,p(x) \) |
sprich: es existiert ein Element \( x \) aus \( X, \) für welches die Aussage \( p(x) \) wahr ist |
Im zweiten Punkt bedeutet „es existiert“ die Existenz wenigstens eines Elementes \( x \) aus \( X. \)
Beispiel: Bedeutet \( \mathbb N=\{1,2,3,\ldots\} \) die Menge der natürlichen Zahlen, so gelten \[ \exists n\in\mathbb N\,:\,n=2,\quad \forall n\in\mathbb N\,:\,n\ge 1. \] Hierin sind die Doppelpunkte zur besseren Lesbarkeit eingefügt.
Beispiel: Eine reellwertige Funktion \( f\colon\Omega\to\mathbb R \) heißt in einem Punkt \( x_0\in\Omega \) stetig, wenn gilt \[ \forall\varepsilon>0\,\exists\delta>0\,\forall x\in\Omega\,(\lvert x-x_0\rvert\lt\delta\to\lvert f(x)-f(x_0)\rvert\lt\varepsilon) \] bzw. ausführlicher: Für alle \( \varepsilon\gt 0 \) existiert ein \( \delta\ge 0, \) so dass gilt \[ |f(x)-f(x_0)|\lt\varepsilon\quad\mbox{für alle}\ x\in\Omega\ \mbox{mit}\ |x-x_0|\lt\delta. \]
Definition: Der Allquantor \( \forall \) und der Existenzquantor \( \exists \) werden wie folgt negiert \[ \neg\forall x\,p(x)\equiv\exists x\,\neg p(x),\quad \neg\exists x\,p(x)\equiv\forall x\,\neg p(x). \] Linksseitig wirkt der Negationsoperator jeweils auf die gesamten Ausdrücke \( \forall x\,p(x) \) bzw. \( \exists x\,p(x). \)
Beispiel: Wir ermitteln \[ \neg\forall x\,\exists y\,p(y)\equiv\exists x\,\neg\exists y\,p(y)\equiv\exists x\forall y\,\neg p(y). \]
Aufgaben
Aufgabe 1.1.23: (Mathematische Aussagen)
Es bezeichne \( \mathbb Z=\{\ldots,-3,-2,-1,0,1,2,3,\ldots\} \) die Menge der ganzen Zahlen. Schreiben sie die folgenden Aussagen als prädikatenlogische Formeln. Welche Aussage ist wahr, welche ist falsch?
(i) | Es existieren ein \( x\in\mathbb Z \) und ein \( y\in\mathbb Z \) mit \( x+y=0. \) |
(ii) | Für alle \( x\in\mathbb Z \) existiert ein \( y\in\mathbb Z \) mit \( x+y=0. \) |
(iii) | Es existiert ein \( x\in\mathbb Z, \) so dass für alle \( y\in\mathbb Z \) gilt \( x+y=0. \) |
(iv) | Für alle \( x\in\mathbb Z \) und für alle \( y\in\mathbb Z \) gilt \( x+y=0. \) |
(i) | \( \exists x\,\exists y\,(x+y=0) \) |
(ii) | \( \forall x\,\exists y\,(x+y=0) \) |
(iii) | \( \exists x\,\forall y\,(x+y=0) \) |
(iv) | \( \forall x\,\forall y\,(x+y=0) \) |
Das sind die gesuchten prädikatenlogischen Formeln.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.24: (Aus den Peanoschen Axiomen der natürlichen Zahlen)
Es bezeichne \( \mathbb N=\{1,2,3,\ldots\} \) die Menge der natürlichen Zahlen. Schreiben Sie die folgenden Aussagen als prädikatenlogische Formeln.
(i) | Zu jedem \( n\in\mathbb N \) existiert ein \( n'\in\mathbb N \) mit \( n'=n+1, \) der Nachfolger von \( n. \) |
(ii) | Die natürliche Zahl \( 1 \) ist nicht Nachfolger irgendeiner natürlichen Zahl. |
(iii) | Sind \( m,n\in\mathbb N, \) und gilt \( m=n, \) so ist auch \( m'=n'. \) |
(i) | \( \forall n\,\exists n'\,(n'=n+1) \) |
(ii) | \( \forall n\,\neg(n'=1) \) |
(iii) | \( \forall m\,\forall n\,(m=n\longrightarrow m'=n') \) |
Das sind die gesuchten prädikatenlogischen Formeln.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.25: (Größer oder kleiner)
Formulieren Sie die folgenden prädikatenlogischen Formeln in Worten. Welche Aussage ist wahr, welche ist falsch? Negieren Sie die Aussagen. Sind die Negationen wahr? Begründen Sie jeweils.
(i) | \( \exists m\in\mathbb N\,\forall n\in\mathbb N\,(m\lt n) \) |
(ii) | \( \exists m\in\mathbb Z\,\forall n\in\mathbb N\,(m\lt n) \) |
(iii) | \( \forall m\in\mathbb N\,\exists n\in\mathbb N\,(n\lt m) \) |
(iv) | \( \forall m\in\mathbb N\,\exists n\in\mathbb Z\,(n\lt m) \) |
(i) | Es existiert ein \( m\in\mathbb N, \) so dass für alle \( n\in\mathbb N \) gilt \( m\lt n. \) Diese Aussage ist falsch, denn beispielsweise für \( n=1 \) existiert kein \( m\in\mathbb N \) mit \( m\lt 1. \) Die Negation der Aussage lautet |
\[ \forall m\in\mathbb N\,\exists n\in\mathbb N\,(m\ge n). \]
Diese Aussage ist wahr, denn wähle beispielsweise \( n=1 \) für jedes \( m\in\mathbb N. \) | |
(ii) | Es existiert ein \( m\in\mathbb Z, \) so dass für alle \( n\in\mathbb N \) gilt \( m\lt n. \) Diese Aussage ist wahr. Betrachte beispielsweise \( m=-1, \) dann ist \( -1\lt n \) für alle \( n\in\mathbb N. \) Die Negation der Aussage lautet |
\[ \forall m\in\mathbb Z\,\exists n\in\mathbb N\,(m\ge n). \]
Diese Aussage ist falsch, denn wähle beispielsweise \( m=-1. \) | |
(iii) | Für alle \( m\in\mathbb N \) existiert ein \( n\in\mathbb N \) mit \( n\lt m. \) Diese Aussage ist falsch, denn wähle beispielsweise \( m=1, \) so gibt es kein \( n\in\mathbb N \) mit \( n\lt 1. \) Die Negation der Aussage lautet |
\[ \exists m\in\mathbb N\,\forall n\in\mathbb N\,(m\le n). \]
Diese Aussage ist wahr, denn wähle beispielsweise \( m=1. \) | |
(iv) | Für alle \( m\in\mathbb N \) existiert ein \( n\in\mathbb Z \) mit \( n\lt m. \) Diese Aussage ist wahr, denn wähle beispielsweise \( n=-1. \) Die Negation der Aussage lautet |
\[ \exists m\in\mathbb N\,\forall n\in\mathbb Z\,(m\le n). \]
Diese Aussage ist falsch, denn betrachte beispielsweise \( m=1. \) |
Damit sind alle Aufgaben gelöst.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.1.26: (Negation der Stetigkeit)
Negieren Sie die prädikatenlogische Formel der Stetigkeit \[ \forall\varepsilon\gt 0\,\exists\delta\gt 0\,\forall x\in\Omega\,\big(|x-x_0|\lt\delta\to|f(x)-f(x_0)|\lt\varepsilon\big) \] mit dem Ergebnis \[ \exists\varepsilon>0\,\forall\delta\gt 0\,\exists x\in\Omega\,(\lvert x-x_0\rvert\lt\delta\wedge\lvert f(x)-f(x_0)\rvert\ge\varepsilon). \]
Wir ermitteln \[ \begin{array}{l} \neg\,\forall\varepsilon\gt 0\,\exists\delta\gt 0\,\forall x\in\Omega\,\big(|x-x_0|\lt\delta\to|f(x)-f(x_0)|\lt\varepsilon\big) \\ \qquad\Longleftrightarrow\quad \exists\varepsilon\gt 0\,\neg\,\exists\delta\gt 0\,\forall x\in\Omega\,\big(|x-x_0|\lt\delta\to|f(x)-f(x_0)|\lt\varepsilon\big) \\ \qquad\Longleftrightarrow\quad \exists\varepsilon\gt 0\,\forall\delta\gt 0\,\neg\,\forall x\in\Omega\,\big(|x-x_0|\lt\delta\to|f(x)-f(x_0)|\lt\varepsilon\big) \\ \qquad\Longleftrightarrow\quad \exists\varepsilon\gt 0\,\forall\delta\gt 0\,\exists x\in\Omega\,\neg\,\big(|x-x_0|\lt\delta\to|f(x)-f(x_0)|\lt\varepsilon\big) \\ \qquad\Longleftrightarrow\quad \exists\varepsilon\gt 0\,\forall\delta\gt 0\,\exists x\in\Omega\,\big(|x-x_0|\lt\delta\wedge|f(x)-f(x_0)|\ge\varepsilon\big). \end{array} \] Das war zu zeigen.\( \qquad\Box \)
Das Aufstellen und Beweisen von Aussagen steht im Zentrum aller Teilgebiete der Mathematik. Dies geschieht in einem formalen Rahmen:
1. | Festlegen der Sprache, d.h. der zu verwendenden Variablen, Symbole und Formeln, |
2. | Festlegen endlich vieler Axiome und eventuell weiterer endlich vieler Schlussregeln, auf deren Basis Aussagen in der vereinbarten Sprache auf formaler Basis bewiesen werden. |
Eine Sprache besteht aus einer endlichen oder unendlichen Liste von Aussagenvariablen \( a_1,a_2,a_3,\ldots, \) aus aussagenlogischen Verknüpfungen, wie \( \neg \) oder \( \vee, \) deren Bedeutungen an die jeweiligen semantischen Bedeutungen angelehnt sind, und aus Formeln, wie \( a\vee\neg b, \) deren Regeln zum Aufbau ebenfalls im Voraus vereinbart werden.
Ein Axiom ist eine Formel, die in ihrer semantischen Interpretation immer wahr, also tautologisch ist, wie beispielsweise \( \neg a\vee a. \) Unter einer Schlussregel verstehen wir eine Regel, die angibt, wie von einem endlichen System wahrer Voraussetzungen \( a_1,\ldots,a_n \) auf eine neue wahre Formel \( b \) geschlossen werden kann, in Zeichen \[ \genfrac{}{}{1pt}{}{a_1,\ a_2,\ \ldots,a_n}{b}\,. \]
Ein solches formales System, bestehend aus den Elementen der Sprache, aus Axiomen und aus Schlussregeln, bezeichnen wir mit dem Buchstaben \( {\mathcal S.} \)
Es bezeichne nun \( \Gamma \) eine Menge endlich vieler Formeln von \( {\mathcal S}. \) Ein Beweis innerhalb des Systems \( {\mathcal S} \) unter Verwendung der Formelmenge \( \Gamma \) ist dann eine Folge \( F_1,F_2,\ldots,F_n \) von endlich vielen Formeln, die wie folgt entstehen:
\( \circ \) | entweder ist \( F_k \) für \( k=1,\ldots,n \) ein Axiom, |
\( \circ \) | oder \( F_k \) für \( k=1,\ldots,n \) ist eine Formel aus der Formelmenge \( \Gamma, \) |
\( \circ \) | oder \( F_k \) für \( k\gt 1 \) ist Resultat einer Schlussregel, deren Voraussetzungen in den Formeln \( F_1,\ldots,F_{k-1} \) enthalten sind. |
Das Symbol \[ \vdash_{\,\Gamma}F_n \] zeigt die Beweisbarkeit der Formel \( F_n \) unter Verwendung der Formelmenge \( \Gamma \) an. Geht aus dem Kontext klar hervor, welche Voraussetzungen in den Beweis eingehen, schreiben wir auch einfach \( \vdash F_n, \) wie bei den nachstehenden Ableitungen verschiedener Schlussregeln. Erst in den Paragraphen 1.2.5 und 1.2.6 studieren wir Beweise, die, bis auf ein Axiom, ohne Voraussetzungen geführt werden - in Zeichen ebenfalls \( \vdash F_n. \)
Wir wollen nun ein konkretes formales System kennenlernen.
1.2.2 Das System von Hodel-Shoenfield
In diesem Paragraphen gehen wir nach dem Lehrbuch ➝ Hodel (2013) vor, siehe auch ➝ Shoenfield (1967). Zunächst legen wir die Sprachelemente fest.
Symbole:
1. | Aussagenvariablen \( a_1,a_2,a_3,\ldots, \) |
2. | Verknüpfungen \( \neg \) und \( \vee \) |
3. | Klammern \( ( \) und \( ) \) und das Kommazeichen \( , \) |
Formeln:
4. | jede Aussagenvariable ist eine Formel |
5. | \( \neg a \) und \( a\vee b \) sind Formeln, falls \( a \) und \( b \) Formeln sind |
6. | jede endliche Anwendung der beiden vorigen Regeln ergibt eine Formel |
Das Axiomensystem von Hodel-Shoenfield umfasst ferner ein Axiom, vier Schlussregeln:
Axiom:
7. | \( \neg a\vee a \) | Satz vom ausgeschlossenen Dritten (AX) |
Schlussregeln:
8. | \( \displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a\vee(b\vee c)}{(a\vee b)\vee c} \) | Assoziativregel (ASS) |
9. | \( \displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a\vee a}{a} \) | Kompressionsregel (KOM) |
10. | \( \displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a}{b\vee a} \) | Expansionsregel (EXP) |
11. | \( \displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a\vee b,\ \neg a\vee c}{b\vee c} \) | Schnittregel (CUT) |
Zur Vereinfachung der Schreibweise werden noch folgende Setzungen vereinbart:
Definitionen:
12. | \( a\to b \) | bedeutet \( \neg a\vee b \) |
13. | \( a\wedge b \) | bedeutet \( \neg(\neg a\vee\neg b) \) |
14. | \( a\leftrightarrow b \) | bedeutet \( (a\to b)\wedge(b\to a) \) |
Als Anwendung wollen wir folgenden Satz beweisen (siehe ➝ Hodel (2013), Seiten 80-81):
Satz: (Schlussregel der doppelten Negierung)
Es gilt \( \quad\displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a}{\neg\neg a}\,. \)
Wir gehen in zwei Schritten vor.
1. Schritt: Kommutativität der Konjunktion \( \quad\displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a\vee b}{b\vee a}\qquad\mbox{(KMO)} \)
1. | \( \vdash\ a\vee b \) | (VOR) |
2. | \( \vdash\ \neg a\vee a \) | (AX) |
3. | \( \vdash\ b\vee a \) | (CUT, 1, 2) |
2. Schritt: Schlussregel der doppelten Negierung \( \quad\displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a}{\neg\neg a} \)
4. | \( \vdash\ a \) | (VOR) |
5. | \( \vdash\ \neg\neg a\vee\neg a \) | (AX) |
6. | \( \vdash\ \neg a\vee\neg\neg a \) | (KMO, 5) |
7. | \( \vdash\ \neg\neg a\vee a \) | (EXP, 4) |
8. | \( \vdash\ a\vee\neg\neg a \) | (KMO, 7) |
9. | \( \vdash\ \neg\neg a\vee\neg\neg a \) | (CUT, 6, 8) |
10. | \( \vdash\ \neg\neg a \) | (KOM, 9) |
Damit ist die Behauptung bewiesen.\( \qquad\Box \)
Aufgaben
Aufgabe 1.2.1: (Kommutativität in der Expansionsregel)
Beweisen Sie folgende Version der Expansionsregel \( \quad\displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a}{a\vee b}\,. \)
Wir gehen wie folgt vor:
1. | \( \vdash\ a \) | (VOR) |
2. | \( \vdash\ b\vee a \) | (EXP, 1) |
3. | \( \vdash\ a\vee b \) | (KMO, 2) |
Damit ist die Behauptung bewiesen.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.2.2: (Kommutativität in der Assoziativregel)
Beweisen Sie folgende Version der Assoziativregel \( \quad\displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{(a\vee b)\vee c}{a\vee(b\vee c)}\,. \)
Wir gehen wie folgt vor:
1. | \( \vdash\ (a\vee b)\vee c \) | (VOR) |
2. | \( \vdash\ c\vee(a\vee b) \) | (KMO, 1) |
3. | \( \vdash\ (c\vee a)\vee b \) | (ASS, 2) |
4. | \( \vdash\ b\vee(c\vee a) \) | (KMO, 3) |
5. | \( \vdash\ (b\vee c)\vee a \) | (ASS, 4) |
6. | \( \vdash\ a\vee(b\vee c) \) | (KMO, 5) |
Damit ist die Behauptung bewiesen.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.2.3: (Eine weitere Schlussregel zur doppelten Negierung)
Beweisen Sie die folgend Schlussregel \( \quad\displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{\neg\neg a}{a}\,. \)
Wir gehen wie folgt vor:
1. | \( \vdash\ \neg\neg a \) | (VOR) |
2. | \( \vdash\ a\vee\neg\neg a \) | (EXP, 1) |
3. | \( \vdash\ \neg\neg a\vee a \) | (KMO, 2) |
4. | \( \vdash\ \neg a\vee a \) | (AX) |
5. | \( \vdash\ a\vee a \) | (CUT, 3, 4) |
6. | \( \vdash\ a \) | (KOM, 5) |
Damit ist die Behauptung bewiesen.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.2.4: (Satz zum modus tollendo ponens)
Beweisen Sie die Schlussregel \( \quad\displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a\vee b,\ \neg a}{b}\,. \)
Wir gehen wie folgt vor:
1. | \( \vdash\ a\vee b \) | (VOR) |
2. | \( \vdash\ \neg a \) | (VOR) |
3. | \( \vdash\ b\vee\neg a \) | (EXP, 2) |
4. | \( \vdash\ \neg a\vee b \) | (KMO, 3) |
5. | \( \vdash\ b\vee b \) | (CUT, 1, 4) |
6. | \( \vdash\ b \) | (KOM, 5) |
Damit ist die Behauptung bewiesen.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.2.5: (Satz zum modus barbara)
Beweisen Sie die Schlussregel \( \quad\displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a\to b,\ b\to c}{a\to c}\,. \)
Wir gehen wie folgt vor:
1. | \( \vdash\ a\to b \) | (VOR) |
2. | \( \vdash\ \neg a\vee b \) | (DEF \( \to, \) 1) |
3. | \( \vdash\ b\vee\neg a \) | (KMO, 2) |
4. | \( \vdash\ b\to c \) | (VOR) |
5. | \( \vdash\ \neg b\vee c \) | (DEF \( \to, \) 4) |
6. | \( \vdash\ \neg a\vee c \) | (CUT, 3, 5) |
7. | \( \vdash\ a\to c \) | (DEF \( \to, \) 6) |
Damit ist die Behauptung bewiesen.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.2.6: (Satz zum modus tollens)
Beweisen Sie die Schlussregel \( \quad\displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a\vee b,\ \neg b}{\neg b}\,. \)
Wir gehen wie folgt vor:
1. | \( \vdash\ a\vee b \) | (VOR) |
2. | \( \vdash\ \neg b \) | (VOR) |
3. | \( \vdash\ \neg b\vee(a\vee b) \) | (EXP, 1) |
4. | \( \vdash\ (a\vee b)\vee\neg b \) | (KMO, 3) |
5. | \( \vdash\ \neg(a\vee b)\vee\neg b \) | (EXP, 2) |
6. | \( \vdash\ \neg b\vee\neg b \) | (CUT, 4, 5) |
7. | \( \vdash\ \neg b \) | (KOM, 6) |
Damit ist die Behauptung bewiesen.\( \qquad\Box \)
Aufgabe 1.2.7: (Satz von der Kontraposition)
Beweisen Sie die Schlussregel \( \quad\displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a\to b}{\neg b\to\neg a}\,. \)
Hierzu benötigen wir zunächst folgende Schlussregel \( \quad\displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a\vee b}{a(c\vee b)}\quad \) (EEXP):
1. | \( \vdash\ a\vee b \) | (VOR) |
2. | \( \vdash\ b\vee a \) | (KMO, 1) |
3. | \( \vdash\ c\vee(b\vee a) \) | (EXP, 2) |
4. | \( \vdash\ (c\vee b)\vee a \) | (ASS, 3) |
5. | \( \vdash\ a\vee(c\vee b) \) | (KMO, 4) |
Hiermit beweisen wir als nächstes \( \quad\displaystyle\genfrac{}{}{1pt}{}{a\vee b}{\neg\neg a\vee b}\quad \) (EDN):
6. | \( \vdash a\vee b \) | (VOR) |
7. | \( \vdash a\vee(\neg\neg a\vee b) \) | (EEXP, 6) |
8. | \( \vdash\ \neg\neg a\vee\neg a \) | (AX) |
9. | \( \vdash\ \neg\neg a\vee(b\vee\neg a) \) | (EEXP, 8) |
10. | \( \vdash\ (\neg\neg a\vee b)\vee\neg a \) | (KMO, 9) |
11. | \( \vdash\ \neg a\vee(\neg\neg a\vee b) \) | (KMO, 10) |
12. | \( \vdash\ (\neg\neg a\vee b)\vee(\neg\neg a\vee b) \) | (CUT, 7, 11) |
13. | \( \vdash\ \neg\neg a\vee b \) | (KOM, 12) |
Damit kommen wir endlich zum Beweis der in Frage stehenden Schlussregel:
14. | \( \vdash a\to b \) | (VOR) |
15. | \( \vdash \neg a\vee b \) | (DEF \( \to, \) 14) |
16. | \( \vdash\ b\vee\neg a \) | (KMO, 15) |
17. | \( \vdash\ \neg\neg b\vee a \) | ( EDN, 16) |
18. | \( \vdash\ \neg b\to a \) | (DEF \( \to, \) 17) |
Damit ist die Behauptung bewiesen.\( \qquad\Box \)
1.2.3 Historische Axiomensysteme
Das Axiomensystem von Frege 1879
Entnommen aus: ➝ Begriffsschrift (1879); siehe auch ➝ Begriffsschrift und andere Aufsätze (2014)
Axiome:
Das Axiomensystem von Russell und Whitehead 1910
Entnommen aus: ➝ Principia mathematica 1 (1910)
Axiome:
Das Axiomensystem von Hilbert 1922
Entnommen aus: ➝ Die logischen Grundlagen der Mathematik (1922)
Axiome:
Schlussregel:
Das Axiomensystem von Ackermann und Hilbert 1928
Entnommen aus: ➝ Grundzüge der theoretischen Logik (1928)
Axiome:
Schlussregel:
Das Axiomensystem von Lukasiewicz und Tarski 1930
Entnommen aus: ➝ Untersuchungen über den Aussagenkalkül (1930); siehe auch ➝ J. Lukasiewicz: Elements of mathematical logic (1963)
Axiome:
Das Axiomensystem von Bernays und Hilbert 1934
Entnommen aus: ➝ Grundlagen der Mathematik I (1934)
Axiome:
Das Axiomensystem von Rosser 1953
Entnommen aus: ➝ Logic for mathematicians (1953)
Axiome:
Schlussregel:
Das Axiomensystem von Ackermann und Hilbert 1959, erste Variation
Entnommen aus: ➝ Grundzüge der theoretischen Logik (1959)
Axiome:
Schlussregel:
Das Axiomensystem von Lukasiewicz 1963
Entnommen aus: siehe auch ➝ J. Lukasiewicz: Elements of mathematical logic (1963)
Axiome:
Schlussregel:
Das Axiomensystem von Lukasiewicz 1963, erste Variation
Entnommen aus: siehe auch ➝ J. Lukasiewicz: Elements of mathematical logic (1963)
Axiome:
Schlussregel:
Das Axiomensystem von Lukasiewicz 1963, zweite Variation
Entnommen aus: siehe auch ➝ J. Lukasiewicz: Elements of mathematical logic (1963)
Axiome:
Schlussregel:
Das Axiomensystem von Kleene 1967
Entnommen aus: ➝ Mathematical logic (1967); siehe auch ➝ Mathematical logic (2013);
Axiome:
Schlussregel:
Das Axiomensystem von Tanaka 1967
Entnommen aus: ➝ On axiom systems of propositional logic XXV (1967)
Axiome:
Das Axiomensystem von Mendelson 1997
Entnommen aus: ➝ Introduction to mathematical logic (4. Auflage, 1997)
Axiome:
Schlussregel:
Die Ersetzungsregel besagt: Sind \( \varphi \) und \( \psi \) äquivalent, so auch \( \chi(\varphi) \) und \( \chi(\psi/\varphi) \) mit einer beliebigen Formel \( \chi, \) wobei \( \chi[\psi/\varphi] \) nach Ersetzen von \( \varphi \) durch \( \psi \) an einigen oder auch an allen Stellen, wo \( \varphi \) in \( \chi \) auftaucht, entsteht.
Die Ersetzungsregel besagt: Sind \( \varphi \) und \( \psi \) äquivalent, so auch \( \chi(\varphi) \) und \( \chi(\psi/\varphi) \) mit einer beliebigen Formel \( \chi, \) wobei \( \chi[\psi/\varphi] \) nach Ersetzen von \( \varphi \) durch \( \psi \) an einigen oder auch an allen Stellen, wo \( \varphi \) in \( \chi \) auftaucht, entsteht.
Aufgaben
Aufgabe 1.2.8: (Weitere Axiomensysteme)
Ergänzen Sie diesen Paragraphen durch weitere Axiomensysteme der Aussagenlogik.
1.2.5 Deduktionslemma, Ersetzungregel und Einsetzregel
Das formale Beweisen kann in der Praxis erleichtert werden durch das Verwenden verschiedener Metaregeln, von denen wir hier, indem wir nach ➝ Hodel (2013), Abschnitt 3.3 vorgehen, das Deduktionslemma, die Ersetzungsregel und die Einsetzregel vorstellen. Diese Regeln gehören überhaupt zum Standardwerkzeug des mathematischen Alltags.
Das Deduktionslemma
Das Deduktionslemma \[ \vdash_{\{a\}}b,\quad\mbox{dann auch}\quad\vdash(a\to b) \] besagt: Gibt es einen Beweis der Formel \( b \) unter Verwendung der Hypothese \( a, \) so gibt es auch einen Beweis der Formel \( a\to b. \) Das Deduktionslemma gilt auch in der Form \[ \vdash_{\Gamma\cup\{a\}}b\,,\quad\mbox{dann auch}\quad\vdash_{\Gamma}(a\to b) \] mit einer Formelmenge \( \Gamma, \) die die Formel \( a \) nicht enthält, aber zu der \( a \) hinzugefügt wird mit dem Resultat einer um \( a \) vergrößerten Formelmenge \( \Gamma\cup\{a\}. \)
Beispielsweise haben wir ➝ hier gezeigt \[ \genfrac{}{}{1pt}{}{a}{\neg\neg a}\quad\mbox{und}\quad\genfrac{}{}{1pt}{}{\neg\neg a}{a}\,, \] und damit folgt nach dem Deduktionslemma \[ \vdash(a\to\neg\neg a)\quad\mbox{und}\quad\vdash(\neg\neg a\to a). \] Es gilt also \( a\leftrightarrow\neg\neg a. \)
Die Ersetzungsregel
Die Ersetzungsregel \[ \genfrac{}{}{1pt}{}{a\leftrightarrow b}{\varphi(a)\leftrightarrow\varphi[b/a]} \] besagt: Sind \( a \) und \( b \) äquivalent, so auch \( \varphi(a) \) und \( \varphi[b/a] \) mit einer beliebigen Formel \( \varphi, \) wobei \( \varphi[b/a] \) nach Ersetzen von \( a \) durch \( b \) an einigen oder auch an allen Stellen, wo \( a \) in \( \varphi \) auftaucht, entsteht.
Beispielsweise gilt wegen \( a\leftrightarrow\neg\neg a \) mit \( \varphi(a,b)=a\vee b \) \[ \genfrac{}{}{1pt}{}{a\vee b}{\neg\neg a\vee b}\,. \]
Die Einsetzregel
Die Einsetzregel \[ \genfrac{}{}{1pt}{}{\varphi(a)}{\varphi[\psi/a]} \] besagt: Ist \( \varphi(a) \) allgemeingültig, so auch \( \varphi[\psi/a], \) wobei \( \varphi[\psi/a] \) nach Einsetzen der Formel \( \psi \) an allen Stellen von \( a \) in \( \varphi(a) \) entsteht.
Beispielsweise gilt mit \( \varphi(a)=\neg a\vee a \) und \( \psi(a,b)=a\vee b \) \[ \genfrac{}{}{1pt}{}{\neg a\vee a}{\neg(a\vee b)\vee(a\vee b)}\,. \]
1.2.6 Herleitung des Systems von Frege
Als Anwendung der vorigen Metaregeln wollen wir vier Axiome des Fregeschen Axiomensystems
aus ➝ diesem Paragraphen aus dem System von Hodel-Shoenfield herleiten. Die Axiome 5 und 6 haben wir bereits ➝ hier als Anwendung des Deduktionslemmas bewiesen. Axiom 4 folgt ebenfalls aus dem Deduktionslemma mit einer als Aufgabe bewiesenen Schlussregel aus ➝ diesem Paragraphen. Zum Beweis von Axiom 1 zeigen wir zunächst \[ \genfrac{}{}{1pt}{}{a\vee b}{a\vee(c\vee b)}\qquad\mbox{(REG)} \] und gehen dazu wie folgt vor:
1. | \( \vdash\ a\vee b \) | (VOR) |
2. | \( \vdash\ b\vee a \) | (KMO, 1) |
3. | \( \vdash\ c\vee(b\vee a) \) | (EXP, 2) |
4. | \( \vdash\ (c\vee b)\vee a \) | (ASS, 3) |
5. | \( \vdash\ a\vee(c\vee b) \) | (KMO, 4) |
Damit schließen wir auf
6. | \( \vdash\ \neg a\vee a \) | (AX) |
7. | \( \vdash\ \neg a\vee(\neg b\vee a) \) | (REG, 6) |
8. | \( \vdash\ \neg a\vee(b\to a) \) | (DEF \( \to, \) 7) |
9. | \( \vdash\ a\to(b\to a) \) | (DEF \( \to, \) 8) |
Damit ist Axiom 1 gezeigt.\( \qquad\Box \)
Aufgaben
Aufgabe 1.2.9: (Herleitung der Fregeschen Axiome I)
Beweisen Sie Axiom 2 des Axiomensystems von Frege.
Aufgabe 1.2.10: (Herleitung der Fregeschen Axiome II)
Beweisen Sie Axiom 3 des Axiomensystems von Frege.