22. Gleichungen höherer Ordnung und Systeme


 

22.1 Lineare Gleichungen erster Ordnung

 

22.1.1 Homogene Gleichungen

 

Hierbei handelt es sich um Differentialgleichungen der Form \[ L[y]:=y'+g(x)y=0\quad\mbox{in}\ I \] mit dem linearen Differentialoperator \[ L:=\frac{d}{dx}+g,\quad g\in C^0(I,\mathbb R)\ \mbox{vorgegeben.} \] Der Operator heißt linear, da die höchste Ableitung \( y' \) (und auch \( y \) ) linear vorkommt.

 

Definition: Die lineare Differentialgleichung \[ L[y]=h(x)\quad\mbox{in}\ I \] heißt homogen, falls \( h\equiv 0, \) sonst heißt sie inhomogen.

 

Homogene lineare Gleichungen lassen sich mit folgendem Eulerschen Ansatz lösen.

 

Satz: Alle Lösungen der homogenen Gleichung \( L[y]=0 \) in \( I \) lauten \[ y(x)=C\cdot e^{-G(x)}\quad\mbox{mit}\quad G(x):=\int\limits_\xi^xg(t)\,dt, \] worin \( \xi\in I \) und \( C\in\mathbb R. \)

 

Beweis

 

Ist \( \Phi(x) \) eine Lösung, d.h. gilt \( \Phi'+g\Phi=0 \) bzw. \( \Phi'=-g\Phi, \) so setze \[ u(x):=e^{G(x)}\Phi(x). \] Wir berechnen \[ u'=e^GG'\Phi+e^G\Phi'=e^Gg\Phi+e^G\Phi'=e^G(g\Phi+\Phi')=0. \] Also ist \( u\equiv C \) in \( I \) mit einem \( C\in\mathbb R \) und damit \[ \Phi(x)=C\cdot e^{-G(x)}\,,\quad x\in I. \] Das war zu zeigen.\( \qquad\Box \)

 

 

Zusammen mit einer Anfangsbedingung \( y(\xi)=\eta \) erhalten wir aus diesem Satz die spezielle Lösung \[ y(x)=\eta e^{-G(x)}\,,\quad x\in I. \] Wir erinnern, dass wir hierin und in den folgenden Betrachtungen alle Größen als sinnvoll erklärt voraussetzen.

 

Aufgabe 1: (Homogene lineare Gleichungen I)

Nach den Methoden dieses Paragraphens ist folgendes Anfangswertproblem zu lösen \[ y'+xy=0,\quad y(0)=1. \]

 

Lösung

 

Mit \( g(x)=x \) und \( \xi=0 \) berechnen wir zunächst \[ G(x)=\int\limits_0^xt\,dt=\frac{t^2}{2}\,\Big|_{t=0}^{t=x}=\frac{x^2}{2}\,. \] Wir betrachten damit den Ansatz \[ y(x)=Ce^{-G(x)}=Ce^{-\frac{x}{2}}\,,\quad C\in\mathbb R. \] Auch die Integrationskonstante \( C\in\mathbb R \) ergibt sich aus der Anfangsbedingung, nämlich \[ 1=y(0)=Ce^0=C \quad\mbox{bzw.}\quad C=1. \] Als Lösung des Anfangswertproblems erhalten wir also \[ y(x)=e^{-\frac{x^2}{2}}\,. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)

 

 

Aufgabe 2: (Homogene lineare Gleichungen II)

Nach den Methoden dieses Paragraphens ist folgendes Anfangswertproblem zu lösen \[ y'+y\sin x=0,\quad y(0)=e. \]

 

Lösung

 

Mit \( g(x)=\sin x \) und \( \xi=0 \) berechnen wir zunächst \[ G(x)=\int\limits_0^x\sin t\,dt=-\cos t\,\Big|_{t=0}^{t=x}=-\cos x+\cos 0=1-\cos x. \] Wir betrachten damit den Ansatz \[ y(x)=\widetilde Ce^{-G(x)}=Ce^{\cos x-1}=:Ce^{\cos x}\,,\quad C,\widetilde C\in\mathbb R. \] Auch die Integrationskonstante \( C\in\mathbb R \) ergibt sich aus der Anfangsbedingung, nämlich \[ e=y(0)=Ce^1=Ce \quad\mbox{bzw.}\quad C=1. \] Als Lösung des Anfangswertproblems erhalten wir also \[ y(x)=e^{\cos x}\,. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)

 

 


 

 

22.1.2 Inhomogene Gleichungen

 

Lösungen der inhomogenen Gleichung \( L[y]=h \) mit einer vorgegebenen rechten Seite \( h\in C^0(I,\mathbb R) \) bestimmt man nach folgender Lagrangeschen Methode der Variation der Konstanten:

 

\( \to \) Ersetze die Integrationskonstante \( C \) in der Lösung \( y=Ce^{-G(x)} \) der homogenen Gleichung durch eine differenzierbare Funktion \( C(x). \)

 

Mit diesem Ansatz berechnen wir \[ \begin{array}{lll} L[y]\negthickspace & = & \negthickspace\displaystyle y'+gy \,=\,C'e^{-G}-CG'e^{-G}+Cge^{-G} \\ & = & \negthickspace\displaystyle C'e^{-G}-Cge^{-G}+Cge^{-G} \,=\,C'e^{-G}\,. \end{array} \] Wegen \( L[y]=h \) folgt \[ C'e^{-G}=h\quad\quad\mbox{bzw.}\quad C'=he^G \] und damit nach Integration \[ C(x)=\int\limits_\xi^xh(t)e^{G(t)}\,dt+C_0\,,\quad C_0\in\mathbb R. \] Zusammen mit den Ergebnissen des nächsten Paragraphen gewinnen wir hieraus den

 

Satz: Das inhomogene Anfangswertproblem \[ L[y]=h(x)\quad\mbox{in}\ I,\quad y(\xi)=\eta \] mit \( g,h\in C^0(I,\mathbb R) \) und \( \xi,\eta\in\mathbb R \) besitzt die eindeutige Lösung \[ y(x)=e^{-G(x)}\left\{\eta+\int\limits_\xi^xh(t)e^{G(t)}\,dt\right\}. \]

 

Aufgabe 1: (Inhomogene lineare Gleichungen I)

Nach den Methoden dieses Paragraphens ist folgendes Anfangswertproblem zu lösen \[ y'+xy=x,\quad y(0)=1. \]

 

Lösung

 

Mit \( \xi=0 \) und \( g(x)=x \) wissen wir bereits \[ G(x)=\frac{x^2}{2}\,. \] Mit \( h(x)=x \) ermitteln wir weiter \[ \int\limits_\xi^xh(t)e^{G(t)}\,dt =\int\limits_0^xte^\frac{t^2}{2}\,dt =e^\frac{t^2}{2}\,\Big|_{t=0}^{t=x} =e^{\frac{x^2}{2}}-1\,. \] Als Lösung des Anfangswertproblems erhalten wir also mit \( \eta=1 \) \[ y(x)=e^{-\frac{x^2}{2}}\left\{1+e^{\frac{x^2}{2}}-1\right\}=e^{-\frac{x^2}{2}}e^\frac{x^2}{2}=1. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)

 

 

Aufgabe 2: (Inhomogene lineare Gleichungen II)

Nach den Methoden dieses Paragraphens ist folgendes Anfangswertproblem zu lösen \[ y'+y\sin x=e^{\cos x}\,. \]

 

Lösung

 

Mit \( \xi=0 \) und \( g(x)=\sin x \) wissen wir bereits \[ G(x)=1-\cos x. \] Mit \( h(x)=e^{\cos x} \) ermitteln wir weiter \[ \int\limits_\xi^xh(t)e^{G(t)}\,dt =\int\limits_0^xe^{\cos t}e^{1-\cos t}\,dt =e\int\limits_0^xdt =ex. \] Als Lösung des Anfangswertproblems erhalten wir also mit \( \eta=e \) \[ y(x)=e^{\cos x-1}\big\{e+ex\big\}=(1+x)e^{\cos x}\,. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)

 

 


 

 

22.1.3 Das Superpositionsprinzip

 

Dieses für die Theorie der linearen Gleichungen grundlegende Prinzip formulieren wir als

 

Satz: Es sei \( N\in\mathbb N. \) Für \( i=1,\ldots,N \) gelten \( L[y_i]=h_i \) in \( I \) mit \( y_i\in C^1(I,\mathbb R) \) und \( h_i\in C^0(I,\mathbb R). \) Dann gilt auch \[ L[y]=h(x)\quad\mbox{in}\ I \] mit den Funktionen \[ y:=\sum_{i=1}^N\lambda_iy_i\,,\quad h:=\sum_{i=1}^N\lambda_ih_i \] für \( \lambda_1,\ldots,\lambda_N\in\mathbb R. \) Sind ferner \( y,\widetilde y\in C^1(I,\mathbb R) \) Lösungen von \[ L[y]=h,\quad L[\widetilde y]=h \quad\mbox{in}\ I, \] so gilt auch mit der Differenz \( z:=y-\widetilde y \) \[ L[z]=0\quad\mbox{in}\ I. \]

 

Mit anderen Worten: Die Lösungsgesamtheit von \( L[y]=h \) hat die Form \[ y(x)=\widetilde y(x)+z(x) \]

\( \circ \) mit einer fest gewählten speziellen Lösung \( \widetilde y \) von \( L[\widetilde y]=h \)
\( \circ \) und allen Lösungen \( z \) des homogenen Problems.

Wählen wir also als eine spezielle Lösung von \( L[y]=h \) die Funktion \[ \widetilde y(x)=\int\limits_\xi^xh(t)e^{G(t)-G(x)}\,dt, \] so dass \( \widetilde y(\xi)=0 \) gilt, so erhalten wir als Lösungsgesamtheit der inhomogenen Gleichung \[ y(x)=\int\limits_\xi^xh(t)e^{G(t)-G(x)}\,dt+Ce^{-G(x)}\,,\quad C\in\mathbb R. \] denn \( Ce^{-G(x)} \) gibt die Lösungsgesamtheit der homogenen Gleichung. Die Integrationskonstante \( C\in\mathbb R \) lässt sich im konkreten Fall aus der Anfangsbedingung bestimmen \[ \eta=y(\xi)=0+C\cdot e^0=C. \]

\( \to \) Die eindeutig bestimmte Lösung des Anfangswertproblems

\[ L[y]=h\quad\mbox{in}\ I,\quad y(\xi)=\eta, \]

  ist also gegeben durch

\[ y(x)=\int\limits_\xi^xh(t)e^{G(t)-G(x)}\,dt+\eta e^{-G(x)} \] Das zeigt die in ➝ Paragraph 22.1.2 behauptete Eindeutigkeit.

 

Aufgabe 1: (Noch einmal zur Eindeutigkeit)

Es seien \( y,z\in C^1(I,\mathbb R) \) zwei Lösungen des inhomogenen, linearen Anfangswertproblems \[ y'+g(x)y=h(x)\quad\mbox{in}\ I,\quad y(\xi)=\eta. \] Beweisen Sie, dass dann gilt \[ y(x)=z(x)\quad\mbox{in}\ I. \] Werten Sie dazu die Differenz \( w:=z-y \) mit der Lösungsdarstellung aus Paragraph 22.1.1 aus.

 

Lösung

 

Nach Voraussetzung gelten \[ \begin{array}{l} y'+g(x)y=h(x),\quad\mbox{in}\ I,\quad y(\xi)=\eta, \\ z'+g(x)z=h(x),\quad\mbox{in}\ I,\quad z(\xi)=\eta. \end{array} \] Die Differenz \( w:=z-y \) genügt daher \[ \begin{array}{l} w'=z'-y'=h(x)-g(x)y-h(x)+g(x)z=g(x)w\quad\mbox{in}\ I, \\ w(\xi)=z(\xi)-y(\xi)=\eta-\eta=0. \end{array} \] Aus Paragraph 22.1.1 kennen wir die Lösungsdarstellung \[ w(x)=C\cdot e^{-G(x)}\quad\mbox{mit}\quad G(x)=-\int\limits_\xi^xg(t)\,dt, \] worin die Integrationskonstante \( C\in\mathbb R \) aus der Anfangsbedingung ermittelt werden kann, genauer \[ 0=y(\xi)=C\cdot e^0=C \quad\mbox{bzw.}\quad C=0. \] Also gelten \( w\equiv 0 \) und damit \( z=y \) in \( I.\qquad\Box \)

 

 


 

 

22.1.4 Die Bernoullische Gleichung

 

Hierbei handelt es sich um die Differentialgleichung \[ y'+g(x)y+h(x)y^\alpha=0\quad\mbox{mit}\ \alpha\not=1 \] und \( g,h\in C^0(I,\mathbb R). \) Wir betrachten nur den Fall \( \alpha\in\mathbb Z. \)

 

Es sei \( y\not=0. \) Multiplikation mit \( (1-\alpha)y^{-\alpha} \) liefert zunächst \[ (1-\alpha)y'y^{-\alpha}+(1-\alpha)g(x)y^{1-\alpha}+(1-\alpha)h(x)=0. \] Nach einer ersten Integration ist daher \[ \frac{d}{dx}\,y^{1-\alpha}+(1-\alpha)g(x)y^{1-\alpha}+(1-\alpha)h(x)=0. \] Es genügt also \( z:=y^{1-\alpha} \) der linearen Gleichung \[ z'+(1-\alpha)g(x)z+(1-\alpha)h(x)=0\quad\mbox{in}\ I. \] Eine Lösung hiervon geht vermittels \[ y(x):=z(x)^\frac{1}{1-\alpha} \] in eine Lösung der ursprünglichen Gleichung über.

 

Aufgabe 1: (Beispiel einer Bernoulligleichung)

Lösen Sie nach den Methoden dieses Paragraphens das Anfangswertproblem \[ y'+2xy+e^{x^2}y^2=0,\quad y(0)=1,\ x\ge 0. \]

 

Lösung

 

Es handelt sich um eine Bernoullische Gleichung mit \( g(x)=2x, \) \( h(x)=e^x \) und \( \alpha=2. \) Ferner sind \( \xi=0 \) und \( \eta=1. \) Sei \( y\gt 0. \) Wir setzen \( z:=y^{-1} \) und erhalten die inhomogene lineare Gleichung \[ \begin{array}{l} z'+(1-2)g(x)z+(1-\alpha)h(x)=0\quad\mbox{bzw.} \\ z'-2xz=e^{x^2}\,. \end{array} \] Die homogene Gleichung besitzt die Lösungsgesamtheit \[ z_h=Ce^{x^2},\quad C\in\mathbb R, \] eine spezielle Lösung der inhomogenen Gleichung lautet \[ z_i=xe^{x^2}. \] Nach Paragraph 22.1.3 erhalten wir damit als Lösungsgesamtheit dieser inhomogenen linearen \[ z=Ce^{x^2}+xe^{x^2}\,,\quad x\ge 0. \] und das bedeutet \[ y=\frac{1}{x+C}\,e^{-x^2}\,,\quad C+x\not 0. \] Die Integrationskonstante \( C\in\mathbb R \) erhalten wir aus der Anfangsbedingung \[ 1=y(0)=\frac{1}{0+C}\,e^0=\frac{1}{C}\quad\mbox{bzw.}\quad C=1. \] Damit erhalten wir als Lösung des Anfangswertproblems \[ y=\frac{1}{1+x}\,e^{x^2}\,,\quad x\ge 0. \]

 

 


 

 

22.1.5 Die Riccatigleichung

 

Hierbei handelt es sich um die Differentialgleichung \[ y'+g(x)y+h(x)y^2=k(x) \] und \( g,h,k\in C^0(I,\mathbb R). \) Wir unterscheiden zwei Fälle:

 

Im homogenen Fall \( k\equiv 0 \) haben wir eine Bernoullische Gleichung mit \( \alpha=2 \) vor uns. Wir setzen also \( z:=y^{-1} \) unter der Annahme \( y\not=0, \) und wir gelangen wie in vorigem Paragraphen zu \[ z'-g(x)z=h(x)\quad\mbox{in}\ I. \] Diese Gleichung muss nun gelöst werden.

 

Der inhomogene Fall ist im Allgemeinen nicht auflösbar. Aber aus der Kenntnis der Existenz einer Lösung lassen sich alle anderen Lösungen ermitteln. Seien also \( y(x) \) und \( \Phi(x) \) zwei Lösungen. Setze \[ u(x):=y(x)-\Phi(x) \] und berechne (aus Gründen der Übersicht lassen wir die Argumente weg) \[ \begin{array}{l} u'+gu+h(y^2-\Phi^2) \\ \qquad\displaystyle =\,y'-\Phi'+gu+h(y^2-\Phi^2) \\ \qquad\displaystyle =\,(k-gy-hy^2)-(k-g\Phi-h\Phi^2)+gu+h(y^2-\Phi^2) \\ \qquad\displaystyle =\,-g(y-\Phi)+gu \\ \qquad\displaystyle =\,-gu+gu\,=\,0. \end{array} \] Wegen \[ y^2-\Phi^2 =(y-\Phi)(y+\Phi) =u(y+\Phi) =u(u+2\Phi) \] folgt daher \[ u'+\big\{g(x)+2\Phi(x)h(x)\big\}\,u+h(x)u^2=0\quad\mbox{in}\ I. \] Es genügt also \( u=y-\Phi \) einer Bernoullischen Gleichung mit \( \alpha=2, \) d.h. \( z:=u^{-1} \) mit \( u\not=0 \) löst \[ z'-\big\{g(x)+2\Phi(x)h(x)\big\}\,z=h(x)\quad\mbox{in}\ I. \] Kennt man daher eine Lösung \( \Phi(x) \) der Riccatigleichung, so erhält man alle anderen Lösungen \( y(x) \) aus \[ y=u+\Phi=\frac{1}{z}+\Phi,\quad z\not=0. \]

 

Aufgabe 1: (Beispiel einer Riccatigleichung)

Lösen Sie nach den Methoden dieses Paragraphens das Anfangswertproblem \[ y'+(1-2x)y+xy^2=1-x,\quad y(0)=2,\ x\ge 0. \]

 

Lösung

 

Es handelt sich um eine Riccatische Gleichung mit \( g(x)=1-2x, \) \( h(x)=x \) und \( k(x)=1-x. \) Eine spezielle Lösung lautet \[ \Phi(x)=1. \] Zunächst ist also die Bernoullische Gleichung \[ z'-\big\{g(x)+2\Phi(x)h(x)\big\}\,z=h(x) \quad\mbox{bzw.}\quad z'-z=x \] zu lösen. Die Lösungsgesamtheit des homogenen Anteils ist \[ z_h=Ce^x\,,\quad x\ge 0, \] eine spezielle Lösung der inhomogenen Gleichung ist \[ z_i=e^x-(1+x),\quad x\ge 0. \] Nach Paragraph 22.1.3 erhalten wir damit als Lösungsgesamtheit dieser inhomogenen Gleichung \[ z=Ce^x+e^x-(1+x)=(1+C)e^x-x-1,\quad C\in\mathbb R. \] Mit (nach Voraussetzung nehmen wir \( z\not=0 \)) \[ u=\frac{1}{z}=\frac{1}{(1+C)e^x-x-1} \] erhalten wir damit als Lösungsgesamt der gegebenen Riccatigleichung \[ y=u+\Phi=\frac{1}{(1+C)e^x-x-1}+1. \] Wegen \[ 2=y(0)=\frac{1}{(1+C)e^0-0-1}+1=\frac{1}{1+C-1}+1 \quad\mbox{bzw.}\quad C=1 \] erhalten wir als Lösung des ursprünglichen Anfangswertproblems \[ y=\frac{1}{2e^x-x-1}+1,\quad x\ge 0. \] Das war zu zeigen. \( \qquad\Box \)

 

 


 

 

22.1.6 Wiederholungsfragen

 

1. Wie löst man die homogene Gleichung \( L[y]=0? \)
2. Wie löst man die inhomogene Gleichung \( L[y]=h? \) Was versteht man unter der Methode der Variation der Konstanten?
3. Was besagt das Superpositionsprinzip?
4. Wie setzt sich die Lösungsgesamtheit der inhomogenen Gleichung \( L[y]=h \) zusammen?
5. Wie lautet die Bernoullische Differentialgleichung?
6. Wie haben wir die Bernoullische Differentialgleichung gelöst?
7. Wie lautet die Riccatische Differentialgleichung?
8. Wie haben wir die Riccatische Differentialgleichung gelöst?

 


 

22.2 Systeme von Differentialgleichungen

 

22.2.1 Ein Existenz- und Eindeutigkeitssatz

 

Wir betrachten nun Systeme erster Ordnung der Form \[ \begin{array}{rcl} y_1'\negthickspace & = & \negthickspace f_1(x,y_1,\ldots,y_n) \\ & \vdots & \\ y_n'\negthickspace & = & \negthickspace f_n(x,y_1,\ldots,y_n) \end{array} \quad\mbox{in}\ I \] mit rechten Seiten \( f_1,\ldots,f_n\in C^0(D,\mathbb R) \) auf einer Menge \( D\subseteq\mathbb R^{n+1}. \)

 

Zur Abkürzung schreiben wir \[ Y=(y_1,\ldots,y_n),\quad F=(f_1,\ldots,f_n)\quad\mbox{usw.} \] Wie auch im Fall \( n=1 \) einer Gleichung macht man sich klar:

\( \to \) Das vektorielle Anfangswertproblem

\[ Y'=F(x,Y)\quad\mbox{in}\ I,\quad Y(\xi)=\eta\in\mathbb R^n\,, \]

  ist äquivalent zum vektoriellen Integralgleichungsproblem

\[ Y(x)=\eta+\int\limits_\xi^xF(t,Y(t))\,dt. \]

 

Den folgenden Satz beweisen wir später im Spezialfall \( n=1 \) unter Verwendung funktionalanalytischer Hilfsmittel, verweisen aber für detaillierte Ausführungen auf W. Walters Lehrbuch, Abschnitt III, §10.

 

Mit \( \|\cdot\|\colon\mathbb R^n\to[0,\infty) \) bezeichnen wir eine beliebige Norm im \( \mathbb R^n \) - beachte, dass im \( \mathbb R^n \) sämtliche Normen äquivalent sind.

 

Satz: Folgende Aussagen sind richtig:

(i) Es sei \( F(x,Z) \) stetig in \( D\subseteq\mathbb R^{n+1} \) und genüge dort einer Lipschitzbedingung

\[ \|F(x,Z)-F(x,\overline Z)\|\le q\cdot\|Z-\overline Z\|. \]

  Dann besitzt das Anfangswertproblem

\[ Y'=F(x,Y)\quad\mbox{in}\ I,\quad Y(\xi)=\eta\in\mathbb R^n\,, \]

  genau eine Lösung.
(ii) Ist \( F(x,Z) \) in \( D\subseteq\mathbb R^{n+1} \) stetig, so besitzt das Anfangswertproblem eine Lösung.

 


 

 

22.2.2 Homogene lineare Systeme mit konstanten Koeffizienten

 

Wir betrachten nun spezielle Systeme der folgenden Form \[ y_1'=\sum_{k=1}^nm_{1k}y_k\,,\quad y_2'=\sum_{k=1}^nm_{2k}y_k \quad\mbox{usw.}\quad\mbox{in}\ I \] mit Koeffizienten \( m_{ik}\in\mathbb R \) bzw. in Matrixschreibweise \[ Y'={\mathbf M}\circ Y\quad\mbox{mit}\ {\mathbf M}=(m_{ik})_{i,k=1,\ldots,n}\in\mathbb R^{n\times n}\,. \]

\( \to \) Zur Lösung machen wir den Ansatz

\[ Y(x)=Ce^{\lambda x}\,,\quad x\in I, \]

  mit zu bestimmendem \( C\in\mathbb C^n. \)

 

Einsetzen dieses Ansatzes in \( Y'={\mathbf M}\circ Y \) führt auf \[ ({\mathbf M}-\lambda\mathbb E^n)\circ C=0 \] mit der \( n \)-dimensionalen Einheitsmatrix \( \mathbb E^n. \) Dieses lineare, homogene Gleichungssystem besitzt eine nichttriviale Lösung genau dann, wenn \[ P(\lambda):=\mbox{det}\,({\mathbf M}-\lambda\mathbb R^n)=0 \] für das charakteristische Polynom \( P(\lambda) \) richtig ist. Es müssen also \( \lambda\in\mathbb C \) Eigenwert und \( C\in\mathbb C^n \) Eigenvektor von \( {\mathbf M}\in\mathbb R^{n\times n} \) sein.

 


 

 

22.2.3 Lösungsstrategie

 

Wir wollen im Folgenden nur eine allgemeine Lösungsstrategie stichpunktartig angeben. Im späteren Abschnitt über Gleichungen höherer Ordnung werden wir diese Vorgehensweise detailliert begründen.

 

Ist \( \lambda \) ein \( k \)-facher Eigenwert von \( {\mathbf M}, \) also eine \( k \)-fache Nullstelle von \( P(\lambda), \) so existieren \( k \) Basislösungen \[ Y_1(x),\ldots,Y_k(x) \] des Systems, d.h. die \( Y_k(x) \) sind voneinander linear unabhängig, und jede Linearkombination ist wieder eine Lösung. Genauer haben wir:

 

(S1) Der zum \( k \)-fachen Eigenwert \( \lambda \) gehörige Eigenraum sei \( k \)-dimensional mit Basisvektoren \( C_1,\ldots,C_k. \) Dann sind

\[ Y_\ell(x)=C_\ell e^{\lambda x}\,,\quad\ell=1,\ldots,k, \]

  Basislösungen.
(S2) Der zum \( k \)-fachen Eigenwert \( \lambda \) gehörige Eigenraum sei \( \ell \)-dimensional mit \( \ell\lt k \) und Basisvektoren \( C_1,\ldots,C_\ell. \) Dann sind

\[ Y_j(x)=C_je^{\lambda x}\,,\quad j=1,\ldots,\ell, \]

  \( \ell \) Basislösungen, und \( k-\ell \) weitere Lösungen erhält man durch den Ansatz

\[ Y(x)=Q(x)e^{\lambda x}\,,\quad Q(x)=(q_1(x),\ldots,q_n(x)) \]

  mit zu bestimmenden Polynomen \( q_i(x) \) vom Grad \( k-\ell. \)
(S3) Sind die Eigenwerte komplex, so rechnen wir komplex, und Real- und Imaginärteil einer komplexen Lösung sind selbst reelle Basislösungen.

 


 

 

22.2.4 Erstes Beispiel

 

Wir gehen nach W. Walters Lehrbuch Gewöhnliche Differentialgleichungen vor.

 

Betrachte das System \[ y_1'=y_1-y_2\,,\quad y_2'=4y_1-3y_2 \] mit der Koeffizientenmatrix \[ {\mathbf M} =\begin{pmatrix} 1 & -1 \\ 4 & -3 \end{pmatrix} \in\mathbb R^{2\times 2}\,. \]

 

\( \circ \) Das charakteristische Polynom lautet

\[ P(\lambda)=\lambda^2+2\lambda+1=(\lambda+1)^2\,, \]

  es besitzt also die zweifache Nullstelle \( \lambda=-1. \) Der hierzu gehörige Eigenwert ist

\[ C=(1,2)\in\mathbb R^2\,. \]

  Der zu diesem Eigenwert gehörige Eigenraum ist eindimensional, in obiger Notation also \( k=2 \) und \( \ell=1. \) Das liefert die eine Basislösung

\[ Y_1(x)=(1,2)e^{-x}\,. \]

\( \circ \) Wir machen nun den Ansatz

\[ y_1(x)=(a+bx)e^{-x}\,,\quad y_2(x)=(c+dx)e^{-x} \]

  mit Polynomen \( q_1=a+bx \) und \( q_2=c+dx \) ersten Grades (beachte \( k-\ell=1, \) \( n=2 \)), wobei \( a,b,c,d \) zu bestimmen sind. Es folgt zunächst

\[ \begin{pmatrix} y_1' \\ y_2'\end{pmatrix} =\begin{pmatrix} b-a \\ d-c \end{pmatrix}e^{-x} -\begin{pmatrix} b \\ d \end{pmatrix}xe^{-x}\,. \]

  Es muss aber auch \( Y_2=(y_1,y_2) \) das System lösen

\[ \begin{array}{lll} Y_2'\negthickspace & = & \negthickspace\displaystyle \begin{pmatrix} y_1' \\ y_2' \end{pmatrix} \,=\,{\mathbf M}\circ\begin{pmatrix} y_1 \\ y_2 \end{pmatrix} \,=\,{\mathbf M}\circ\begin{pmatrix} a+bx \\ c+dx \end{pmatrix}e^{-x} \\ & = & \negthickspace\displaystyle {\mathbf M}\circ\begin{pmatrix} a \\ c \end{pmatrix}e^{-x}+{\mathbf M}\circ\begin{pmatrix} b \\ d \end{pmatrix}xe^{-x}\,. \end{array} \]

  Ein Koeffizientenvergleich liefert

\[ {\mathbf M}\circ\begin{pmatrix} a \\ c \end{pmatrix}=\begin{pmatrix} b-a \\ d-c \end{pmatrix},\quad {\mathbf M}\circ\begin{pmatrix} b \\ d \end{pmatrix}=-\begin{pmatrix} b \\ d \end{pmatrix}. \]

  Insbesondere besagt die zweite Identität, dass \( (b,d) \) Eigenvektor zum Eigenwert \( \lambda=-1 \) ist, und man ermittelt

\[ b=1,\quad d=2. \]

  Das setzen wir in die erste Identität ein und erhalten

\[ a=0,\quad c=-1. \]

  Es folgt also

\[ Y_2=(y_1,y_2)=(x,-1+2x)e^{-x}\,. \]

  Beachte, dass \( Y_1(x) \) und \( Y_2(x) \) linear unabhängig sind.
\( \circ \) Die Gesamtlösung des Systems lautet schließlich

\[ Y(x)=\alpha Y_1(x)+\beta Y_2(x)=\alpha(1,2)e^{-x}+\beta(x,-1+2x)e^{-x} \]

  mit \( \alpha,\beta\in\mathbb R. \)

 

Aufgabe 1: (Lineare Systeme mit konstanten Koeffizienten I)

Lösen Sie folgendes Differentialgleichungssystem \[ y_1'=2y_2\,,\quad y_2'=2y_2\,. \]

 

Lösung

 

Die Koeffizientenmatrix \[ {\mathbf M}=\begin{pmatrix} 2 & 0 \\ 0 & 2 \end{pmatrix} \] besitzt den zweifachen Eigenwert \( \lambda=2. \) Der zugehörige Eigenraum \[ \mbox{Lin}\,\{(1,0),(0,1)\} \] ist zweidimensional, so dass wir die beiden Basislösungen erhalten \[ Y_1(x)=(1,0)e^{2x}\,,\quad Y_2(x)=(0,1)e^{2x}\,. \] Mit diesen Basislösungen lautet die Gesamtlösung des Systems \[ Y(x)=\alpha Y_1(x)+\beta Y_2(x),\quad\alpha,\beta\in\mathbb R. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)

 

 

Aufgabe 2: (Lineare Systeme mit konstanten Koeffizienten II)

Lösen Sie folgendes Differentialgleichungssystem \[ y_1'=3y_1+2y_2\,,\quad y_2'=2y_1+3y_2\,. \]

 

Lösung

 

Die Koeffizientenmatrix \[ {\mathbf M}=\begin{pmatrix} 3 & 2 \\ 2 & 3 \end{pmatrix} \] besitzt die beiden Eigenwerte \( \lambda_1=1 \) und \( \lambda_2=5. \) Hierzu gehören die beiden Eigenvektoren \[ C_1=(-1,1),\quad C_2=(1,1), \] und wir erhalten die beiden Basislösungen \[ Y_1(x)=(-1,1)e^x\,,\quad Y_2(x)=(1,1)e^{5x}\,. \] Mit diesen Basislösungen lautet die Gesamtlösung des Systems \[ Y(x)=\alpha Y_1(x)+\beta Y_2(x),\quad\alpha,\beta\in\mathbb R. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)

 

 


 

 

22.2.5 Zweites Beispiel

 

Wir gehen erneut nach W. Walters Lehrbuch Gewöhnliche Differentialgleichungen vor.

 

Betrachte das System \[ y_1'=y_1-2y_2\,,\quad y_2'=2y_1-y_3\,,\quad y_3'=4y_1-2y_2-y_3 \] mit der Koeffizientenmatrix \[ {\mathbf M} =\begin{pmatrix} 1 & -2 & 0 \\ 2 & 0 & -1 \\ 4 & -2 & -1 \end{pmatrix} \in\mathbb R^{3\times 3}\,. \]

 

\( \circ \) Die Eigenwerte lauten

\[ \lambda_1=-\frac{1}{2}+i\,\frac{\sqrt{7}}{2}\,,\quad \lambda_2=-\frac{1}{2}-i\,\frac{\sqrt{7}}{2}\,,\quad \lambda_3=1 \]

  mit den zugehörigen Eigenvektoren

\[ C_1=\left(\frac{3}{2}+i\,\frac{\sqrt{7}}{2},2,4\right),\quad C_2=\overline{C_1}\,,\quad C_3=(1,0,2). \]

\( \circ \) Wir spalten \( C_1e^{\lambda_1x} \) in Real- und Imaginärteil auf und erhalten zwei erste Lösungen des Systems

\[ Y_1(x)=e^{-\frac{x}{2}}\left\{\left(\frac{3}{2},2,4\right)\cos\frac{\sqrt{7}}{2}\,x-\left(\frac{\sqrt{7}}{2},0,0\right)\sin\frac{\sqrt{7}}{2}\,x\right\} \]

  (hier wird der Realteil von \( C_1e^{\lambda_1x} \) ausgewertet) und

\[ Y_2=e^{-\frac{x}{2}}\left\{\left(\frac{\sqrt{7}}{2},0,0\right)\cos\frac{\sqrt{7}}{2}\,x+\left(\frac{3}{2},2,4\right)\sin\frac{\sqrt{7}}{2}\right\} \]

  (hier wird der Imaginärteil von \( C_1e^{\lambda_1x} \) ausgewertet).
\( \circ \) Zusammen mit der dritten Lösung

\[ Y_3(x)=(1,0,2)e^x \]

  bildet

\[ \{Y_1(x),Y_2(x),Y_3(x)\} \]

  ein sogenanntes Fundamentalsystem, d.h. ein System von drei linear unabhängigen Lösungen als Lösungsbasis. Die Gesamtlösung ergibt sich als Linearkombination

\[ Y(x)=\alpha Y_1(x)+\beta Y_2(x)+\gamma Y_3(x),\quad\alpha,\beta,\gamma\in\mathbb R. \]

 

Aufgabe 1: (Lineare Systeme mit konstanten Koeffizienten I)

Lösen Sie folgendes Differentialgleichungssystem \[ y_1'=y_1-y_2-3y_3\,,\quad y_2'=-5y_1+6y_2-15y_3\,,\quad y_3'=-y_1+2y_2-y_3\,. \]

 

Lösung

 

Die Koeffizientenmatrix \[ {\mathbf M}=\begin{pmatrix} 1 & -1 & -3 \\ -5 & 6 & -15 \\ -1 & 2 & -1 \end{pmatrix} \] besitzt die Eigenwerte \[ \lambda_1=2,\quad \lambda_2=2+3i,\quad \lambda_3=2-3i. \] Die zugehörigen Eigenvektoren lauten \[ C_1=(-3,0,1),\quad C_2=(-1+i,1+2i,1),\quad C_3=\overline{C_2}\,. \] Eine Basislösung ist also \[ Y_1(x)=(-3,0,1)e^{2x}\,. \] Wir werten nun die komplexwertigen Anteile aus: \[ \begin{array}{l} \displaystyle \begin{pmatrix} -1+i \\ 1+2i \\ 1 \end{pmatrix}e^{(2+3i)x} \,=\,\left\{\begin{pmatrix} -1 \\ 1 \\ 1 \end{pmatrix}+i\begin{pmatrix} 1 \\ 2 \\ 0 \end{pmatrix}\right\}(\cos 3x+i\sin 2x)e^{2x} \\ \qquad\displaystyle =\,\left\{ \begin{pmatrix} -1 \\ 1 \\ 1 \end{pmatrix}\cos 3x-\begin{pmatrix} 1 \\ 2 \\ 0 \end{pmatrix}\sin 3x +i\begin{pmatrix} 1 \\ 2 \\ 0 \end{pmatrix}\cos 3x+i\begin{pmatrix} -1 \\ 1 \\ 1 \end{pmatrix}\sin 3x \right\}e^{2x}\,, \end{array} \] so dass wir auf die beiden weiteren Basislösungen \[ \begin{array}{lll} Y_2(x)\negthickspace & = & \negthickspace\displaystyle \left\{\begin{pmatrix} -1 \\ 1 \\ 1 \end{pmatrix}\cos 3x-\begin{pmatrix} 1 \\ 2 \\ 0 \end{pmatrix}\sin 3x\right\}e^{2x}\,, \\ Y_3(x)\negthickspace & = & \negthickspace\displaystyle \left\{\begin{pmatrix} 1 \\ 2 \\ 0 \end{pmatrix}\cos 3x+\begin{pmatrix} -1 \\ 1 \\ 1 \end{pmatrix}\sin 3x\right\}e^{2x}\,. \end{array} \] Damit erhalten wir als Gesamtlösung des Systems \[ Y(x)=\alpha Y_1(x)+\beta Y_2(x)+\gamma Y_3(x),\quad\alpha,\beta,\gamma\in\mathbb R. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)

 

 


 

 

22.2.6 Wiederholungsfragen

 

1. Was versteht man unter einem System von Differentialgleichungen erster Ordnung?
2. Wie lautet die Existenz- bzw. Existenz-und Eindeutigkeitsaussage für solche Systeme?
3. Was versteht man unter einem homogenen linearen System?
4. Studieren Sie wenigstens einen der diskutierten Beispielfälle zum Lösen solcher Systeme.

 


 

22.3 Gleichungen höherer Ordnung

 

22.3.1 Überführung in Systeme erster Ordnung

 

Wir betrachten die Differentialgleichung \( n \)-ter Ordnung \[ y^{(n)}=f(x,y,y',\ldots,y^{(n-1)}),\quad n\ge 1 \tag{H} \] Diese Gleichung lässt sich wie folgt in ein System von Differentialgleichungen erster Ordnung schreiben \[ \begin{array}{l} y_1:=y,\ y_2:=y_1'=y'\,,\ y_3:=y_2'=y''\,,\ \ldots,\ y_n:=y_{n-1}'=y^{(n-1)}\,, \\ y_n'=f(x,y_1,\ldots,y_n) \end{array} \tag{S} \] bzw. in vektorieller Schreibweise \[ Y'(x)=F(x,Y) \quad\mbox{mit}\quad Y=(y_1,y_2,\ldots,y_n)\ \mbox{und}\ F=(y_2,y_3,\ldots,f(x,Y)). \] Wie hängen nun (H) und (S) zusammen?

\( \circ \) Ist \( y(x) \) eine Lösung von (H), so ist  

\[ (y_1(x),y_2(x),\ldots,y_n(x)) \]

  eine Lösung von (S).  

 

Umgekehrt können Systeme auch in Gleichungen höherer Ordnung überführt werden. Es ist aber Vorsicht geboten, wie wir am Beispiel klar machen wollen.

 

Beispiel: Es bezeichne \( (y_1,y_2) \) eine Lösung des linearen System \[ y_1'=y_1\,,\quad y_2'=y_2\,. \] Ist \( y_1 \) zweimal stetig differenzierbar (warum stimmt das sogar?), so genügt \( y_1 \) der Gleichung zweiter Ordnung \[ y_1''-y_1'=0, \quad\mbox{aber auch}\quad y_1''-2y_1'+y_1=0, \] denn es ist \[ y_1''-2y_1'+y_1=(y_1''-y_1')-(y_1'-y_1)=0+0=0. \] Diese zweite Gleichung aber besitzt die Lösungen \[ y=e^x\,,\quad y=(1+x)e^x\,, \] und die zweite Lösung hiervon löst nicht die erste Gleichung \( y_1'=y_1 \) des Systems.

 

Beispiel: Vorgelegt sei das lineare System erster Ordnung \[ y_1'=ay_1+by_2\,,\quad y_2'=cy_1+dy_2 \] mit Koeffizienten \( a,b,c,d\in\mathbb R. \) Wir nehmen \( b\not=0 \) (und auch \( c\not=0 \)) an und setzen zur Abkürzung \[ y:=y_1\quad\mbox{bzw.}\quad y'=ay+by_2\quad\mbox{bzw.}\quad y_2=\frac{1}{b}\,(y'-ay)\,. \] Wir berechnen also \[ y''=ay'+by_2'=ay'+b(cy_1+dy_2)=ay'+bcy+d(y'-ay) \] und erhalten die lineare Gleichung zweiter Ordnung \[ y''-(a+d)y'-(bc-ad)y=0. \] Eine zweimal stetig differenzierbare Lösung \( y_1 \) des Systems löst also diese Gleichung. Welche Gleichung löst eine zweimal stetig differenzierbare Lösung \( y_2 \) des Systems?

 

Aber in dem folgenden Sinne sind (H) und (S) äquivalent.

 

Beispiel: Es sei \( (y_1,y_2,y_3) \) eine dreimal stetig differenzierbare Lösung des Systems \[ y_1'=y_2\,,\quad y_2'=y_3\,,\quad y_3'=f(x,y_1,y_2,y_3). \] Wir setzen \( y:=y_1 \) und erhalten \( y'=y_2, \) \( y''=y_3 \) und die Gleichung dritter Ordnung \[ y'''=f(x,y,y',y''). \]

 

Aufgabe 1: (Überführung in ein System)

Überführen Sie die folgende Gleichung zweiter Ordnung \[ y''+2y'+xy=1 \] in ein System von Differentialgleichungen erster Ordnung.

 

Lösung

 

Zunächst schreiben wir in der obigen Form \[ y''=f(x,y,y')\quad\mbox{mit}\quad f(x,y,y')=1-xy-2y'\,. \] Jetzt setzen wir \[ y_1:=y,\quad y_2:=y' \] und erhalten das System \[ y_1'=y_2\,,\quad y_2'=1-xy_1-2y_2\,. \] Das war zu zeigen.\( \qquad\Box \)

 

 

Aufgabe 2: (Überführung aus einem System)

Wir betrachten das System erster Ordnung \[ y_1'=y_1-2y_2\,,\quad y_2'=5y_1+3y_2\,. \] Welcher Gleichung zweiter Ordnung genügt \( y_1? \)

 

Lösung

 

Wir setzen \( y:=y_1 \) und erhalten \[ y'=y-2y_2 \] und damit \[ y''-4y'+13y=0. \] Das war zu zeigen.\( \qquad\Box \)

 

 


 

 

22.3.2 Ein Existenz- und Eindeutigkeitssatz

 

Unter Berücksichtigung unserer Untersuchungen aus den Paragraphen 22.2.1 und 22.3.1 sowie unter Vorwegnahme unseres späteren Existenz- und Eindeutigkeitssatzes formulieren wir den

 

Satz: Die reellwertige Funktion \[ f(x,Z)=f(x,z_1,\ldots,z_n) \] sei in \( D\subseteq\mathbb R^{n+1} \) stetig. Dann gelten die folgenden Aussagen:

(i) Das Anfangswertproblem

\[ \begin{array}{l} y^{(n)}=f(x,y,y',\ldots,y^{(n-1)})\quad\mbox{in}\ I, \\ y(\xi)=\eta_0,\ y'(\xi)=\eta_1\,,\ \ldots,\ y^{(n-1)}(\xi)=\eta_{n-1} \end{array} \]

  mit \( \xi\in I \) und \( \eta_0,\ldots,\eta_{n-1}\in\mathbb R \) besitzt eine Lösung.
(ii) Genügt \( f(x,Z) \) einer Lipschitzbedingung bez. der Variablen \( Z\in\mathbb R^n, \) so ist diese Lösung eindeutig.

 


 

 

22.3.3 Die Gleichung \( y''=f(x,y') \)

 

Wir betrachten nun Anfangswertprobleme für spezielle Differentialgleichungen höherer Odnung und beginnen mit dem Problem \[ y''=f(x,y')\quad\mbox{in}\ I,\quad y(\xi)=\eta_0,\ y'(\xi)=\eta_1 \] mit einer rechten Seite \( f\in C^0(I,\mathbb R) \) und Daten \( \xi\in I, \) \( \eta_0,\eta_1\in\mathbb R. \) Mit \( z:=y' \) erhalten wir sofort die bekannte Gleichung \[ z'=f(x,z). \] Zunächst ist also diese Gleichung erster Ordnung zu lösen unter der zweiten Anfangsbedingung \[ z(\xi)=y'(\xi)=\eta_1\,, \] und dann ist gemäß \[ y(x)=\eta_0+\int\limits_\xi^xz(t)\,dt \] unter der ersten Anfangsbedingung \( y(\xi)=\eta_0 \) die gesuchte Lösung \( y(x) \) zu berechnen.

 

Aufgabe 1: (Gleichungen der Form \( y''=f(x,y') \))

Bestimmen Sie nach den Methoden aus Paragraph 22.3.3 die Lösung des Anfangswertproblems \[ y''=2y'-2,\quad y(0)=1,\quad y'(0)=2. \]

 

Lösung

 

Die Setzung \( z:=y' \) führt mit \( \eta_1=2 \) auf die inhomogene, lineare Anfangswertaufgabe \[ z'=2z-2,\quad z(0)=2, \] mit der Lösung \[ z=e^{2x}+1. \] Hieraus schließen wir mit \( \eta_0=1 \) \[ y=\eta_0+\int\limits_\xi^xz(t)\,dt =1+\int\limits_0^x(e^{2t}+1)\,dt =1+\frac{1}{2}\,e^{2x}-\frac{1}{2}+x =\frac{1}{2}\,e^x+x+\frac{1}{2}\,. \] Damit ist das Anfangswertproblem gelöst.\( \qquad\Box \)

 

 


 

 

22.3.4 Die Gleichung \( y''=f(y,y') \)

 

Wir nehmen an, \( y(x) \) besitze die Umkehrfunktion \( x(y). \) Wir setzen \[ p(y):=\frac{dy(x)}{dx}\quad\mbox{mit}\ x=x(y). \] Es folgt \[ \frac{dp(y)}{dy} =\frac{d^2y(x(y))}{dx^2}\,\frac{dx}{dy} =\frac{1}{p(y)}\,\frac{d^2y(x(y))}{dx^2}\,, \] und wir erhalten aus der Ausgangsgleichung \[ \frac{dp(y)}{dy}=\frac{1}{p(y)}\,f(y,p(y))\,. \] Hieraus ist mit bekannten Methoden \( p(y) \) zu bestimmen, um dann vermittels \[ x(y)=\int\frac{1}{p(y)}\,dy \] die Funktion \( x(y) \) zu bestimmen. Durch Inversion folgt eventuell die gesuchte Darstellung \( y(x). \)

 


 

 

22.3.5 Die Gleichung \( y''=f(y) \)

 

Es handelt sich um einen Spezialfall der Gleichung \( y''=f(y,y'), \) den wir aber doch genauer betrachten wollen. Zunächst setzen wir \[ F(y):=\int f(y)\,dy. \] Es folgt \[ (y'^2)' =2y'y'' =2y'f(y) =2y'F'(y) =2\,\frac{d}{dx}\,F(y) \] bzw. nach Integration \[ y'^2=2F(y)+C \quad\mbox{bzw.}\quad y'=\pm\sqrt{2F(y)+C} \] mit einer Integrationskonstanten \( C\in\mathbb R. \)

 

Beispiel: Die in ➝ diesem Paragraphen angeschriebene Differentialgleichung \[ y''+\frac{g}{\ell}\,\sin y=0 \] ist von diesem Typ. Unsere hier vorgestellte Methode führt auf \[ y'=\pm\sqrt{\frac{2g}{\ell}\,\cos y+C}\,. \]

 

Aufgabe 1: (Eine lineare Gleichung der Form \( y''=f(y) \))

Nach den Methoden dieses Paragraphens ist folgendes Anfangswertproblem zu lösen. \[ y''=y,\quad y(0)=1,\quad y'(0)=1. \]

 

Lösung

 

Zunächst erhalten wir wegen \( 2F(y)=y^2 \) \[ y'=\pm\sqrt{2F(y)+C}=\pm\sqrt{y^2+C}\,. \] Aus den positiven Anfangsdaten \( y(0)=1 \) und \( y'(0)=1 \) bestimmen sich ferner das Vorzeichen sowie die Integrationskonstante \( C\in\mathbb R. \) Wir erhalten daher als Lösung des Anfangswertproblems \[ y'=y. \]

 

 

Aufgabe 2: (Eine semilineare Gleichungen der Form \( y''=f(y) \) )

Nach den Methoden dieses Paragraphens ist eine Lösung des folgenden Anfangswertproblems zu finden \[ y''=\sinh 2y,\quad y(0)=0,\quad y'(0)=2. \]

 

Lösung

 

Zunächst erhalten wir \[ F(y)=\int f(y)\,dy=\cosh 2y+C_1 \] mit einer Konstante \( C_1\in\mathbb R. \) Wir erhalten daher \[ y'=\pm\sqrt{2F(y)+C_1}=\pm\sqrt{2\cosh 2y+C_1}\,. \] Wegen \( y'(0)=2\gt 0 \) schließen wir \[ y'=\sqrt{2\cosh 2y+2}=\sqrt{2(\sinh^2y+\cosh^2y+1}=2\cosh y. \] Integration nach Trennung der Variablen ergibt \[ \int\frac{dy}{2\cosh y}=x+C_2 \] mit einer Integratonskonstante \( C_2\in\mathbb R \) und damit nach Auswerten des Integrals links sowie Umstellen \[ \mbox{arctan}\,e^y=x+C \quad\mbox{bzw.}\quad y=\ln\tan(x+C) \] (wir betrachten natürlich nur einen Ast der Tangensfunktion). Wegen \( y(0)=0 \) ist darin \[ \ln\tan C=0 \quad\mbox{bzw.}\quad \tan C=1 \quad\mbox{bzw.}\quad C=\frac{\pi}{4}\,. \] Wir erhalten als Lösung des Anfangswertproblems \[ y=\ln\tan\left(x+\frac{\pi}{4}\right). \]

 

 


 

 

22.3.6 Lineare Gleichungen höherer Ordnung mit konstanten Koeffizienten

 

Wir betrachten nun homogene, lineare Gleichungen höherer Ordnung der Form \[ M[y]=0\quad\mbox{in}\ I \] mit der Setzung \[ M[y]:=\sum_{k=0}^na_ky^{(k)}=a_ny^{(n)}+a_{n-1}y^{(n-1)}+\ldots+a_1y'+a_0y \] mit Koeffizienten \( a_0,\ldots,a_n\in\mathbb R \) und \( a_n\not=0. \)

 

Damit kommen wir auf unsere Untersuchungen ➝ aus diesem Paragraphen über homogene, lineare Systeme zurück, für deren Auflösung wir lediglich eine Lösungsstrategie angegeben haben.

 

Wir führen zunächst das charakteristische Polynom ein \[ p(\lambda):=a_n\lambda^n+a_{n-1}\lambda^{n-1}+\ldots+a_1\lambda+a_0\,. \] Dann gilt \[ M[e^{\lambda x}] =a_n\lambda^ne^{\lambda x}+\ldots+a_1\lambda e^{\lambda x}+a_0e^{\lambda x} =p(\lambda)e^{\lambda x}\,. \]

\( \to \) Sind also \( \lambda_1,\ldots,\lambda_m\in\mathbb R \) für ein \( 1\le m\le n \) reelle, paarweise verschiedene Nullstellen von \( p(\lambda), \) so stellen

\[ y_1:=e^{\lambda_1x}\,,\ \ldots,\ y_m:=e^{\lambda_mx} \]

  \( m \) verschiedene Lösungen von \( M[y] \) dar.

 

Wie bekommen wir aber alle Lösungen von \( M[y]=0? \) Seien dazu \( k_1 \) die Vielfachheit von \( \lambda_1, \) \( k_2 \) die Vielfachheit von \( \lambda_2 \) usw. Dann ist also \[ \begin{array}{l} p(\lambda)=a_n(\lambda-\lambda_1)^{k_1}\cdot\ldots\cdot(\lambda-\lambda_m)^{k_m}\,, \\ \mbox{wobei}\ k_1+\ldots+k_m=n. \end{array} \tag{\( * \)} \] Nun beachten wir für \( q=0,1,2,\ldots? \) \[x^qe^{\lambda x}=\frac{\partial^q}{\partial\lambda^q}\,e^{\lambda x}=:\partial_\lambda^qe^{\lambda x}\,, \] woraus folgt \[ \begin{array}{lll} M[x^qe^{\lambda x}]\negthickspace & = & \negthickspace\displaystyle M[\partial_\lambda^qe^{\lambda x}] \,=\,\sum_{k=0}^na_k\frac{\partial^k}{\partial x^k}\left(\frac{\partial^qe^{\lambda x}}{\partial\lambda^q}\right) \\ & = & \negthickspace\displaystyle \frac{\partial^q}{\partial\lambda^q}\,\sum_{k=0}^na_k\frac{\partial^ke^{\lambda x}}{\partial x^k} \,=\,\frac{\partial^q}{\partial\lambda^q}\,M[e^{\lambda x}] \,=\,\frac{\partial^q}{\partial\lambda^q}\,p(\lambda)e^{\lambda x}\,. \end{array} \] Das charakteristische Polynom enthält aber nach der Produktdarstellung \( (*) \) den Faktor \( (\lambda-\lambda_j)^{k_j} \) für \( j=1,\ldots,m, \) so dass mit der Produktregel folgt \[ M[x^qe^{\lambda_jx}]=\frac{\partial^q}{\partial\lambda^q}\,p(\lambda)e^{\lambda x}\,\Big|_{\lambda=\lambda_j}=0 \quad\mbox{für}\ q=0,1,\ldots,k_j-1. \] Hieraus lesen wir die noch fehlenden Lösungen ab und fassen wie folgt zusammen:

 

\( \to \) Die homogene, lineare Gleichung \( M[y]=0 \) wird durch die \( k_1+\ldots+k_m=n \) Funktionen gelöst

\[ \begin{array}{cccc} y_{11}=e^{\lambda_1x} & y_{12}=xe^{\lambda_1x} & \ldots & y_{1k_1}=x^{k_1-1}e^{\lambda_1x} \\ \vdots & & & \vdots \\ y_{m1}=e^{\lambda_mx} & y_{m2}=xe^{\lambda_mx} & \ldots & y_{mk_m}=x^{k_m-1}e^{\lambda_mx} \end{array} \]

  mit den Nullstellen \( \lambda_1,\ldots,\lambda_m \) von \( p(\lambda). \)

 

Im Falle komplexer Nullstellen wird komplex gerechnet, und die komplexen Lösungen trennen sich wie gewohnt in reelle Lösungen auf. Die Gesamtlösung ergibt sich nach dem Superpositionsprinzip als Linearkombination der Einzellösungen.

 

Aufgabe 1: (Lineare Gleichungen mit konstanten Koeffizienten I)

Lösen Sie die Differentialgleichung \[ y'''-2y''-5y'+6y=0. \] Hinweis: Es ist \( \lambda=1 \) eine Nullstelle des charakteristischen Polynoms.

 

Lösung

 

Das charakteristische Polynom der Gleichung lautet \[ p(\lambda)=\lambda^3-2\lambda^2-5\lambda+6. \] Nach Hinweis ist \( \lambda_1=1 \) eine Nullstelle. Wir kürzen diese aus \( p(\lambda) \) und erhalten \[ p(\lambda)=(\lambda-1)(\lambda+2)(\lambda-3), \] d.h. die weiteren beiden Nullstellen von \( p(\lambda) \) lauten \( \lambda_2=-2 \) und \( \lambda_3=3. \) Damit ergeben sich die Lösungen \[ y_1=e^x\,,\quad y_2=e^{-2x}\,,\quad y_3=e^{3x}\,, \] und nach dem Superpositionsprinzip wird die Gleichung gelöst durch \[ y=c_1e^x+c_2e^{-2x}+c_3e^{3x}\,,\quad c_1,c_2,c_3\in\mathbb R. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)

 

 

Aufgabe 2: (Lineare Gleichungen mit konstanten Koeffizienten II)

Lösen Sie die Differentialgleichung \[ y''''+2y'''-2y''-6y'+6y=0. \] Hinweis: Es ist \( \lambda=1 \) eine Nullstelle des charakteristischen Polynoms.

 

Lösung

 

Das charakteristische Polynom der Gleichung lautet \[ p(\lambda)=\lambda^4+2\lambda^3-2\lambda^2-6\lambda+5. \] Mit dem Hinweis lässt sich \( p(\lambda) \) faktorisieren zu \[ p(\lambda)=(\lambda-1)^2(\lambda^2+4\lambda+5). \] Es besitzt also \( \lambda=1 \) die Vielfachheit \( 2. \) Alle Nullstellen von \( p(\lambda) \) sind nun \[ \begin{array}{l} \lambda_1=1\ \mbox{mit Vielfachheit}\ k_1=2, \\ \lambda_2=-2+i,\ \lambda_3=-2-i\ \mbox{mit Vielfachheiten}\ k_2=k_3=1 \end{array} \] (beachte \( k_1+k_2+k_3=4\) ). Es ergeben sich unmittelbar zwei Lösungen zu \[ y_1=e^x\,,\quad y_2=xe^x\,. \] Desweiteren haben wir \[ e^{(-2+i)x}=e^{-2x}e^{ix}=e^{-2x}(\cos x+i\sin x) \] und damit die beiden verbleibenden Lösungen \[ y_3=e^{-2x}\cos x,\quad y_4=e^{-2x}\sin x. \] Nach dem Superpositionsprinzip wird die Gleichung gelöst durch \[ y=c_1e^x+c_2xe^x+c_3e^{-2x}\cos x+c_4e^{-2x}\sin x,\quad c_1,c_2,c_3,c_4\in\mathbb R. \] Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)

 

 


 

 

22.3.7 Wiederholungsfragen

 

1. Wie überführt man eine Gleichung \( n \)-ter Ordnung in ein System erster Ordnung?
2. Studieren Sie die Beispiele in Paragraph 22.3.1
3. Wie löst man Gleichungen der Form \( y''=f(x,y')? \)
5. Wie löst man Gleichungen der Form \( y''=f(y,y')? \)
6. Wie löst man Gleichungen der Form \( y''=f(y)? \)
7. Wie löst man Gleichungen der Form \( M[y]=0? \)