Quellenstudium definitionen I.1

Einleitung

Die Definitionen als Beschreibungen


Traditionell sind es die Definitionen des ersten Buches der Elemente des Euklid, die den schärfsten Kritiken ausgesetzt sind.

Platonische Philosophie

 

Dass Euklids Definitionen eher als Beschreibungen zu verstehen sind, lesen wir auch immer wieder in den heutigen Kommentaren, so z.B. bei C. Thaer (Euklid. S. 417):

Die Definitionen stehen nicht auf der Höhe des übrigen Werkes. Neue Begriffe wollen sie eigentlich nicht  schaffen; die geistige Einstellung, deren Hauptvertreter für uns Platon ist und die Proklos wohl mit Recht auch bei Euklid einnimmt, spricht ja den Ideen ein selbständiges Sein zu. Euklid will höchstens abgrenzen, was bereits existiert.

Gegenüber vielen früheren Kommentaren finden wir hier einen expliziten Bezug zu einer vermeintlichen Platonischen Ideenlehre. Punkte existieren ohne unser Zutun, und uns verbleibt nur noch die Aufgabe, sie durch ihre charakteristischen Eigenschaften beschreiben. Eine Definition, wie wir sie heute im Sinne der Paschschen, der Peanoschen oder der Hilbertschen Axiomatik verstehen, ist gar nicht notwendig. Wussing (Mathematik in der Antike. S. 218) arbeitet diesen Bezug noch deutlicher heraus:

Die Definition stellen den schwächsten Teil der "Elemente“ dar. Es sind Verbaldefinitionen, und zwar nur beschreibend angelegt; sie greifen eine Eigenschaft heraus. Wer z. B. noch nicht den Begriff des Punktes aus der Anschauung mittels Abstraktion gewonnen hat, kann ihn auch aus der Definition nicht gewinnen. Dies alles erklärt sich aus der Tatsache, daß die Definitionen aufgestellt sind unter dem direkten Einfluß der platonischen Ideenlehre: Im Reich der Ideen existiert der Punkt, darum ist es nur nötig, die abgrenzenden Merkmale hervorzuheben, zumal ja gefordert werden kann, daß der Lernende durch philosophisches Training bereits Einsicht in die Welt der Ideen gewonnen hat.

Atomistische Deutung

 

Die Übersetzung Ein Punkt ist, was keine Teile hat könnte dazu verleiten, Punkte als geometrische Atome aufzufassen. Wir wollen das durch einige Quellen verdeutlichen.

 

Als Begründer des Atomismus gilt der antike Philosoph Leukipp von Elea (5. Jhr. v. Chr.). Diogenes Laertios (Leben und Lehre der Philosophen, S. 421) beginnt Leukipps Lebensschilderung wie den Worten:

Er lehrte, die Masse der Dinge sei unendlich und verwandle sich ineinander, das All bestehe aus Leerem und Vollem. Die Kosmoi entstünden, wenn Körper ins Leere gelangen und sich dort miteinander verflechten. Aus ihrer zur Akkumulation führenden Bewegung bilden sich die Sterne. Die Sonne bewege sich auf einem größeren Kreis um den Mond, die Erde halte sich durch Drehung in der Mitte; sie sei trommelförmig. Er [Leupkipp; S.F.] konzipierte zuerst die Atome als Prinzipien.

Gepflegt und fortgeführt wurden Leukipps Lehren von Demokrit (um 460 v. Chr. bis 370 v. Chr.), der nach Diogenes Laertios (S. 423), ähnlich Thales, Ägypten und andere Länder bereiste, um Geometrie zu erlernen. Über seine Lehren lesen wir in Diogenes Laertios (S. 426):

Gelehrt hat er folgendes: Prinzipien des Alls seien Atome und Leeres, alles andere sei bloßes Dafürhalten. Es gebe unendlich viele Kosmoi, die entstehen und vergehen. Nichts entstehe aus dem Nichtseienden oder vergehe ins Nichtseiende. Die Atome seien unendlich an Größenunterschieden und Anzahl, bewegten sich im All wirbelartig und erzeugten so die Kompositionen Feuer, Wasser, Luft und Erde, denn auch diese seien Systeme bestimmter Atome, die durch ihre Festigkeit unaffizierbar und unveränderlich sein. Sonne und Mond bestünden aus feinen und sphärischen Masseteilchen wie auch die Seele; sie und der Verstand seien identisch.

Demokrits Auffassung war also, dass sich die in der Natur vorkommenden Stoffe aus unveränderlichen, aber in ihren Formen verschiedenen Einheiten, eben den Atomen zusammensetzen. Alle Veränderungen sind nichts anderes als Lageveränderungen der Atome. Damit sie sich bewegen können, müssen sie sich im Leeren, im Nichts befinden (vgl. auch von Weizsäcker Aufbau der Physik, S. 237).

 

Nach Diogenes Laertios (S. 424) war Demokrit Anhänger der Pythagoreischen Lehre:

Auch aus seinen Schriften geht hervor, wer er war. Es scheint, so Thrasyllos, ein Bewunderer der Pythagoreer gewesen zu sein und behandelt Pythagoras selbst mit Respekt in der gleichnamigen Schrift. Es sehe so aus, als habe er alles von ihm übernommen und sei sein Schüler gewesen, was zeitlich jedoch unmöglich ist.

Die Anhänger der Schule des Pythagoras (um 570 v. Chr. bis 510 v. Chr.) und später auch Aristoteles (um 384 v. Chr. bis 322 v. Chr.) selbst verstanden den geometrischen Punkt aus Monade, als eine Eins, ein Minimum oder ein Unzerteilbares, dem zusätzlich eine Position im Raum zugeordnet ist. Aristoteles schreibt genauer (Metaphysik, 1016b):

Das nun, das dem Quantum nach unzerlegbar ist, heißt dann die Eins, wenn es in jeder Richtung unzerlegbar ist und keine Lage hat, das aber, das in jeder Richtung unzerlegbar ist und eine Lage hat, heißt Punkt.

Euklid lässt in seiner Definition offenbar den Zusatz Position fallen und befreit damit das atomare Objekt Punkt von der Notwendigkeit, sich im leeren Raum zu befinden. In späteren Definitionen wird dieser Zusatz wieder hinzugenommen, wie unsere Quellensammlung verdeutlicht.

Von der Fläche zur Kurve zum Punkt

 

Eine weitere Deutung der ersten Definition ergibt sich im Zusammenhang mit den Euklidischen Definitionen der Linie und der Fläche (Definition 2 und 5), die wir nach Thaer (Euklid, S. 1) wiedergeben:

  • Eine Linie ist eine breitenlose Länge.
  • Eine Fläche ist, was nur Länge und Breite hat.

Ein Punkt könnten wir dann wie folgt verstehen:

  • Eine Fläche wird durch Linien berandet, die auch Teile der Fläche sind.
  • Eine Linie wird durch Punkte berandet, die auch Teile der Linie sind.
  • Ein Punkt besitzt keinen Rand und damit auch keine Teile.

Diese Interpretation finden wir auch in einigen der unten vorgestellten Quellen. Neben diesen wollen wir an dieser Stelle J. Williamson (The elements of Euclid, S. 13) zitieren:

Every part of a space that we consider has a shape; for instance the shape of a room: this space the mathematicians call a solid; that which limits it or gives it this shape is called a surface; which must be considered as having only length and breadth: because if it had thickness also; then it would not be the boundary of the solid, but a part of the solid itself. Therefore the proper definition of a surface will be, that which hath length and breadth. But farther this surface has a shape or is limited; that which limits it cannot have length and breadth; for then it would not be the limit of the surface but a part of it. Therefore the proper definition of a line is length without breadth. Lastly this line has its limits; which limit cannot have length, for then it would not be the limit of the line but a part of it. Therefore the proper definition of a point would be, that which belongs to magnitude, and has no parts, that is none of the common dimensions, length, breadth or thickness. Thus it is easy to conceive how these definitions of a point, line and surface are derived from the common notions of magnitude.

Abgrenzung zur eleatischen Philosophie

Moderne Axiomatik

Quellenstudium

Proklus Diadochus (etwa 450; Übersetzung von M. Steck 1945)

  • Ein Punkt ist, was keine Teile hat.

M. Steck betont in einer Fußnote, dass auch C. Thaer so übersetzt. Offenbar handelt es sich nicht um eine wörtliche, sondern um eine für Steck inhaltsgleiche bzw. inhaltlich äquivalente Definition.

 

Proklus fährt mit einer längeren Erläuterung fort, aus der wir den einleitenden Satz zitieren:

Daß der Mathematiker auf dem Wege vom Zusammengesetzten zum Einfachen emporsteigt: Vom dreifach Ausgedehnten zu der dieses begrenzenden Fläche, von der Fläche zu deren Begrenzung, der Linie, von der Linie zu dem aller Ausdehnung baren Punkt, ist schon häufig gesagt worden und jedermann klar.

Adelard von Bath (1482)

  • Punctus est cuius ps no est.

Mit ps ist das lateinische Wort pars gemeint, mit no das Wort non. Übersetzt lautet dann die Definition: Punkt ist, dessen Teil nicht ist.

 

Der "Herababsteigen" von der Fläche zur Linie zum Punkt wird hier, nimmt man die Definitionen der Linie und der Fläche vorweg, deutlich.

Wilhelm Holtzmann (Xylander; 1562)

  • Ain punct oder tipfflin / wirtt das genant / so khain thail hatt.

Offenbar handelt es um eine Beschreibung eines materiellen Punktes, der alltäglichen Erfahrung im Umgang mit der Schreibfeder entlehnt.

 

Xylander fügt erläuternd hinzu:

Der punct ist ein anfang aller grössen oder quantitet / jedoch er selbst ist khain grösse. Darum mag er auch nit gethailt werden.

Henry Billingsley (1570)

  • A signe or point is that, which hath no part.

 Billingsley fügt erläuternd hinzu:

So that a pointe is the least thing that by minde and vnderstanding can be imagined and conceyued: then which, there can be nothing lesse, as the point A in the margent.

Christoph Clavius (1591)

  • Punctum est, cuius pars nulla est.

Wir können so übersetzen: Punkt ist, dessen Teil keines ist.

Simon Marius (1610)

  • Ein Punct ist / daß da vunzertheilig ist / oder das in zwey oder mehr kleinere theil nicht kan getheilet werden.

Marius überschreibt diesen Abschnitt der Elemente mit dem Titel Die Beschreibungen und fügt erläuternd hinzu:

Die Beschreibungen in diesem und folgenden Büchern Euclidis seyn nichts anders / als erklärungen etlicher Sachen vnd Wörter / so zu dem demonstrirn der Propositionen erfordert werden.

Sebastian Curtis (1618)

  • Ein punct ist ein vntheilbares düpffelein.

Heinrich Hoffmann (1653)

  • Ein Punct ist, so da unzertheilig ist.

Hoffmann fügt erläuternt hinzu:

Hat also das Punct keine grösse / als welche vnendlich kan zertheilet werden. Dahero denn solches mehr einzubilden / als vor Augen zu stellen / wird aber nicht vnbequem durch ein subtiles Stüpffleich oder Gemercke mit einem spizigen Nädelein oder dergleichen vorgebildet.

Isaac Barrow (1660)

  • A Point is that which has no part.

Ernst Burckhard von Pirckenstein (1694)

  • Der Punct ist ein Tüpffelein, das in seiner Grösse unzertheilig ist, oder in welchem wir allhier keine Theile zu betrachten haben.

Von Pirckenstein schließt damit an Xylander an und fährt fort:

Gleich wie Eins aller Zahlen, also ist der Punct ein Anfang aller Grösse.

Samuel Reyhers (1699)

  • Ein Düppfelein (Punctum) oder Düttel ist ein sichtbares Zeichen eines untheilbaren Anfangs aller Größen.

Christian Schessler (1723)

  • Ein Punct ist, so nicht kan zertheilet werden.

Henry Hill (1726)

  • A Geometrical Point, is that which has no Parts, or at least is considered as such, and which of Consequence is indivisible.

Edmund Stone (1728)

  • A Point is that which has no Parts.

Stone fährt in einem Scholium erläuternd fort:

Tho' a Point, strictly taken, has no Parts, or is of no Bigness; yet in Practice, there is a Necessity of taking it of some Bigness, and that various, according to the Figure it is in or near: as upon Paper a Point is represented by a Prick with the Point of the Compasses, a Dott with the Pen, etc. but on the Ground by a Peg, Stake, etc. And when we have occasion to mention it, we usually call it by the name of some Letter of the Alphabet, as the Point A.

Andrew Tacquet (1728)

  • A Point is a Mark in Magnitude, which is (supposed to be) indivisible.

Tacquet fügt erläuternd hinzu:

That is which cannot be divided so much as in Thought. A Point is the beginning as it were, of all Magnitude, as Unity is of Number.

Mit dem Zusatz "as Unity is of Number" bezieht sich Tacquet auf Euklids Einführung der Zahlen.

Claude Francois Milliet D'Chales (1748)

  • A Point is that which hath no Part.

D’Chales fügt der Definition eine längere Erläuterung hinzu, die mit den folgenden Worten beginnt:

That a Point is that which hath no Parts, as Euclid defines it, without any Idea of Magnitude or Extension, is very difficult for a young Beginner in Geometry to conceive; therefore in order to give a clear Notion of this Definition, and free it from all Ambiguity, the Reader will please to observe, that whatever Ideas we have, or can conceive of Points, are communicated to our Senses by visible or solid Objects only.

Bemerkenswert ist, dass D’Chales auf den innergeometrischen Zusammenhang zwischen Flächen, Kurven und Punkten hinweist, wie wir ihn bereits aus dem Proklus-Kommentar kennen:

Had Euclid began his Definitions with a Solid, then a Superficies, and then a Line, that of a Point would be obvious, and need no Explanation: For a Solid having Length, Breadth and Thickness; a Superficies must have but Length and Breadth, and a Line only Length. Therefore a Point which is the Termination of those three Extensions, hath itself no Extension at all, and therefore no Parts.

George Douglas (1776)

  • A point is that which hath no parts or magnitude.

Robert Simson (1781)

  • A Point is that which hath no parts, or which hath no magnitude.

John Keill (1782)

  • A Point is that which hath no Parts or Magnitude.

Alexander Ingram (1799)

  • A Point has situation, but not magnitude.

In einem späteren Abschnitt Notes fügt Ingram erläuternd hinzu:

The 1st definition wants a condition to make it complete, for to have no magnitude is not peculiar to a point: This condition is now inserted from Dr Hooke, who says, that a point has position, and a relation to magnitude, but has itself no magnitude: It may also be said to be an indivisible mark in magnitude, as Tacquet has it: Or, it may be said to be a sign used for determining position and the extremities of lines ...

Johann Karl Friedrich Hauff (1807)

  • Ein Punkt ist, was keine Theile hat.

John Bonnycastle (1818)

  • A point is one of the extremities of a line, and has neither length, breadth, nor thickness.

Das "Herabsteigen" von der Fläche zur Linie zum Punkt wird bei Bonnycastle besonders deutlich. Der Definition des Punktes gehen die folgenden vier Definitionen voraus:

  1. Geometry is the science which treats of the properties and relations of planes, solids, and other magnitudes.
  2. A solid is that which has length, bradth and thickness.
  3. A superficies is one of the bounds of a solid, and has length and breadth, without thickness.
  4. A line is one of the bounds of a superficies, and has length without breadth or thickness.

John Playfair (1824)

  • A Point is that which has position, but not magnitude.

Playfair fügt ein Kapitel Notes on the Elements an, welches mit folgender Erläuterung zur ersten Definition Euklids beginnt:

Now, it has been objected to this definition, that it contains only a negative, and that it is not convertible, as every good definition ought certainly to be. That it is not convertible is evident, for though every point is unextended, or without magnitude, yet every thing unextended or without magnitude, is not a point. To this it is impossible to reply, and therefore it becomes necessary to change the definition altogether, which is accordingly done here, a point being defined to be, that which has position but not magnitude. Here the affirmative part includes all that is essential to a point, and the negative part excludes every thing that is not essential to it.

Friedrich Kries (1826)

  • Er [der Punkt] bezeichnet eine Stelle im Raum, ohne selbst einen Theil des Raums auszumachen.

Kries gibt nur keine Definition, sondern nur eine Beschreibung des Punktbegriffes, aus der wir hier zitieren. Ausführlicher:

Körper, Flächen und Linien sind daher die Gegenstände, mit welchen sich die Geometrie beschäftigt. Zu diesen kommt noch der Punkt hinzu, der gar keine Abmessung hat, folglich auch keine Größe. Er kann daher auch nicht an und für sich ein Gegenstand geometrischer Betrachtung werden, wohl aber in Verbindung mit den anderen geometrischen Gegenständen, oder mit anderen Punkten. Er bezeichnet nur eine Stelle im Raum, ohne selbst einen Theil des Raums auszumachen.

George Phillips (1826)

  • A Point is that which has no magnitude, or is no part of any thing.

Johann Josef Ignaz Hoffmann (1829)

  • Ein Punct ist dasjenige, was keine Theile hat.

Ephraim Salomon Unger (1833)

  • Ein Punkt ist, was keine Theile hat.

Dionysius Lardner (1838)

  • A point is that which has no parts.

Erläuternd lesen wir

A notion being obtained by the senses of the smalles magnitude distinctly perceptible, this is called a physical point. If this point were indivisible even in idea, it would be strictly what is called a mathematical point. But this is not the case. No material substance can assume a magnitude so small that a smaller may not be imagined. The mind, however, having obtained the notion of an extremely minute magnitude, may proceed without limit in a mental diminution were indinitely continued, is a mathematical point.

Oliver Byrne (1847)

  • A point is that which has no parts.

Henry Law (1860)

  • A Point is that which denotes position, without having any magnitude.

An die anschließenden Definitionen von Linie und Fläche fügt Law folgende Erläuterungen hinzu, von denen wir zunächst die einleitenden Worte zitieren:

The terms point, line, and surface, belong to the class of simple terms, that is to say, they are the names given to simple ideas, by means of which those ideas are conveyed from from one mind to another, and consequently ...cannot be logically defined. There must always necessarily be a certain amount of difficulty in conveying, for the first time, a simple idea from one mind to another with perfect accuracy.

Laws durchaus moderner Standpunkt wird am Ende dieses Paragraphens deutlich:

Thus, to a mind that had never heard of a mathematical point, the definition which we have given above of such a point would convey no idea. It must not, however, be therefore supposed that the foregoing definitions are useless; thery serve to show the precise and limited sense in which the words are used in the following work, and so avoid the ambiguity which would arise if employed with the same latitude as in ordinary conversation.

Johann Friedrich Lorenz (1860)

  • Ein Punkt ist, was keine Theile hat.

Isaac Todhunter (1862)

  • A Point is that which has no parts, or which has no magnitude.

Robert Potts (1864)

  • A Point is that which has no parts, or which has no magnitude.

Johan Ludvig Heiberg (1883)

  • Punctum est, cuius pars nulla est.

James Hamblin Smith (1883)

  • A Point is that which has no parts.

Was parts tatsächlich bedeutet, bleibt unerklärt. Smith fügt erläuternd hinzu:

This is equivalent to saying that a Point has no magnitude, since we define it as that which cannot be divided into smaller parts.

Den Begriff Magnitude erläutert Smith bereits im Vorfeld der Definitionen:

A Magnitude is anything which is made up of parts in any way like itself. Thus, a line is a magnitude; because we may regard it as made up of parts which are themselves lines.

In denselben einleitenden Bemerkungen gibt Smith auch die folgende Charakterisierung eines Punktes:

The proporties Length, Breadth (or Width), and Thickness (or Depth or Height) of a body are called its Dimensions ... A point has no dimensions.

John Sturgeon Mackay (1884)

  • A point has position, but it has no magnitude.

Mackay fügt erläuternd hinzu:

A point is indicated by a dot with a letter attached ... The dots employed  to represent points are not strictly geometrical points, for they have some size, else they could not be seen. But in geometry the only thing connected with a point, or its representative a dot, which we consider, is its position.

John Casey (1885)

  • A point is that which has position, but not dimensions.

Der Begriff der Dimension wird nicht definiert, sondern wie folgt erläutert:

A geometrical magnitude which has three dimensions, that is, length, breadth, and thickness, is a solid; that which has two dimensions, such as length and breadth, is a surface; and that which has but one dimension is a line. But a point is neither a solid, nor a surface, nor a line; hence it has no dimensions – that is, it has neither length, breadth, nor thickness.

Deutlich wird das "Herabsteigen" von der Fläche zur Kurve zum Punkt.

Max Simon (1901)

  • [Der] Punkt ist [das], dessen Teil nichts [ist].

Es ist wert, Simons Kommentare zu studieren:

Die Erklärungen des Euclid sind von jeher Gegenstand heftigen Streites gewesen. Man hat der des Punktes vorgeworfen, daß sie negativ sei, der der Geraden, Fläche etc., daß sie keine Vorstellungen des Erklärten gebe; und selbst ein Mann wie Loria schließt sich zustimmend an einen solchen Tadel Tyndals an. Als wenn Euclid auch nur den Versuch hätte machen wollen, jemandem, der kein Bild von der Geraden besitzt, ein solches durch Worte zu erzeugen. Da hätte er ebenso gut einem Blindgeborenen durch Worte die Anschauung der grünen Farbe geben können. Treffend sagt Lambert in: Briefe an Holland (Deutsch. Gelehrt. Briefwechsel I, Bd. IV): "Daß Euclid seine Definitionen vorausschickt und anhäuft, das ist gleichsam eine Nomenclatur. Er thut dabei nichts, als was z. B. ein Uhrmacher oder ein Künstler thut, wenn er anfängt, seinem Lehrjungen die Namen seiner Werkzeuge bekannt zu machen.“

Simons Euklidkommentar fand offenbar nur wenig Anklang. Man bedenke, dass zu seiner Zeit mit den Arbeiten von Pasch, Peano und Hilbert moderne, lückenlose Darstellungen der Euklidischen Geometrie vorlagen. Andererseits überstrahlt bis heute Thaers Bearbeitung der Elemente alle anderen Quellen. Umso erstaunlicher erscheint jedoch Thaers Bemerkung: "Wer nicht weiß, was ein Punkt ist, wird es aus Euklids Definition nicht lernen.“ War sich Thaer der Simonschen Darstellung der Elemente bewusst?


Bei Loria handelt es sich wohl um den italienischen Mathematiker und Historiker Gino Loria (1862-1954).

Sophie Bryant, Charles Smith (1901)

  • A point has position but no magnitude.

Bryant und Smith fügen nach den ersten drei Definitionen des Punktes, der Linie und der Fläche einige Erläuterungen an, aus den wir den einleitenden Satz zitiere:

Clearer ideas of the nature of a surface, a line and a point will be otained by reversing the order in which they are considered.

Thomas Little Heath (1908)

  • A point is that which has no part.

Heath schließt an diese Definition längere Erläuterungen an über unterschiedliche Auffassungen ausgewählter Ubersetzungen wie auch über der Entwicklung des Begriffes des Punktes seit der Zeit des Aristoteles. Wir zitieren:

Martianus Capella (5th C.A.D.) alone or almost alone translated differently, ”Punctum est cuius pars nihil est,” ”a point is that a part of which is nothing.” Notwithstanding that Max Simon (Euclid und die sechs planimetrischen Bücher, 1901) has adopted this translation (on grounds which I shall presently mention), I cannot think that it gives any sense. If a part of a point is nothing, Euclid might as well have said that a point is itself ”nothing,” which of course he does not do.

Clemens Thaer (1969)

  • Ein Punkt ist, was keine Teile hat.

Offenbar übernimmt Thaer den Standpunkt Heaths', indem die vorgebrachte Definition der Übersetzung "Ein Punkt ist, dessen Teil nichts ist" gegenüberstellt und ohne weitere Erläuterungen schreibt:

So ist gelegentlich geschehen, doch scheint mir die sprachlich mindestens gleichberechtigte Deutung, daß Teile nicht existieren, sinnvoller.

Richard Fitzpatrick (2008)

  • A point is that of which there is no part.