Das Lebesguesche Maß
Unser Ziel ist die Konstruktion einer Inhaltsfunktion, also einer Funktion, welche für möglichst viele geometrische Mengen des \( \mathbb R^n \) einen Inhalt berechnet. Dazu wiederholen die
Beispiel: Auf kompakten Intervallen \( [a,b]\subset\mathbb R \) kennen wir das Riemannsche Integral, mit dessen Hilfe wir folgende Inhaltsfunktion definieren können \[ \mu([a,b]) :=\int\limits_a^b\chi_{[a,b]}\,dx =\int\limits_a^b1\,dx =b-a. \]
Gegenbeispiel: Die Dirichletsche Sprungfunktion \[ \chi_D(x) :=\left\{ \begin{array}{ll} 1, & \mbox{falls}\ x\in\mathbb Q\cap[0,1] \\ 0, & \mbox{falls}\ x\in[0,1]\setminus\mathbb Q \end{array} \right. \] als charakteristische Funktion der Menge \( \{x\in\mathbb Q\,:\,0\le x\le 1\} \) ist nicht Riemannintegrierbar, wie wir aus der Analysis 1 wissen. Der Menge \( \mathbb Q\cap[0,1] \) lässt sich also auf diese Art und Weise kein Inhalt zuordnen, denn das Riemannsche Integral \[ \int\limits_0^1\chi_D(x)\,dx \] existiert nicht.
Unsere Untersuchungen drehen sich also um folgende Fragestellung:
Wir werden in diesem Kapitel einen auf den französischen Mathematiker Henry L. Lebesgue (1875-1941) sowie auf das englische Mathematikerehepaar William H. Young (1863-1942) und Grace C. Young (1868-1944) zurückgehenden Maßbegriff kennenlernen, der diese Frage positiv beantwortet.
Aufbauend auf diesen Maßbegriff werden wir dann eine neue Klasse sogenannter Lebesguemessbarer Funktionen konstruieren, und für diese Funktionen werden wir drittens ein speziell angepasstes Integral definieren und studieren, das Lebesguesche Integral.
Wir werden dabei folgendes Maßproblem diskutieren:
Wir werden hauptsächlich nur spezielle Lebesguemessbare Mengen untersuchen, die sogenannten Borelmengen. Tatsächlich umfasst der Lebesguesche Maßbegriff ein größeres Spektrum an Mengen. Aber er umfasst eben nicht alle Mengen, wie wir sehen werden.
Es sei \( n\in\mathbb N. \) Wir betrachten einen kompakten, \( n \)-dimensionalen Quader \[ Q=[a_1,b_1]\times[a_2,b_2]\times\ldots\times[a_n,b_n]\subset\mathbb R^n\,, \] worin \( -\infty\lt a_i\le b_i\lt\infty \) für \( i=1,\ldots,n \) sind, mit dem elementargeometrischen Inhalt \[ |Q|:=(b_1-a_1)\cdot(b_2-a_2)\cdot\ldots\cdot(b_n-a_n). \]
\( \circ \) | ihr innerer Jordaninhalt |
\( \circ \) | und ihr äußerer Jordaninhalt |
Es stellen also \( \Sigma_i \) eine Approximation von innen und \( \Sigma_A \) eine Approximatio von außen an die Menge \( \Omega \) dar. Die nichtnegativen reellen Zahlen \( |\Sigma_I| \) und \( |\Sigma_A| \) bedeuten die elementargeometrischen Inhalte der Vereinigungen \( \Sigma_I \) bzw. \( \Sigma_A, \) worauf wir gleich genauer eingehen wollen.
Jordanmessbarkeit wird also zurückgeführt auf den Vergleich von Elementarinhalten. Zum Studium von Jordaninhalten ist daher ein vorausgehendes Studium elementarer Figuren und ihrer elementaren Inhalte notwendig. Dazu gehen wir wie folgt nach → F. Dalessi, Kapitel 2, vor.
Elementarintervalle
Mit reellen Zahlen \( -\infty\lt a\le b\lt\infty \) bezeichnen wir ein reellwertiges Intervall der Form \[ [a,b],\quad [a,b),\quad (a,b]\quad\text{oder}\quad(a,b) \] als ein Elementarintervall. Einem Elementarintervall \( I\subset\mathbb R \) ordnen wir den Inhalt zu \[ |I|:=b-a. \]
Elementarquader
Ein Elementarquader \( Q\subset\mathbb R^n \) ist ein kartesisches Produkt der Form \[ Q:=I_1\times\ldots\times I_n \] mit Elementarintervallen \( I_1,\ldots,I_n. \) Einem Elementarquader ordnen wir den Inhalt zu \[ |Q|:=|I_1|\cdot\ldots\cdot|I_n|. \]
Elementarmenge
Eine Elementarmenge \( E\subset\mathbb R^n \) ist eine endliche Vereinigung \[ E=\bigcup_{i=1}^NQ_i \] von Elementarquadern \( Q_1,\ldots,Q_N \) für ein \( N\in\mathbb N. \)
Eine Elementarmenge \( E\subset\mathbb R^n \) kann stets als endliche Vereinigung paarweise disjunkter Elementarquader geschrieben werden (siehe → F. Dalessi, Lemma 2.7), d.h. \[ E=Q_1\dot\cup\ldots\dot\cup Q_N\,. \]
Man kann zeigen, dass \( m(E) \) unabhängig von der disjunkten Zerlegung in Elementarquadern und damit wohldefiniert ist. Außerdem gilt der folgende Satz (siehe → F. Dalessi, Theorem 2.9), den wir an dieser Stelle aber unbewiesen lassen wollen.
(i) | \( m(\emptyset)=0 \) |
(ii) | \( m(Q)=|Q|, \) falls \( Q\subset\mathbb R^n \) Elementarquader |
(iii) | \( m(E\cup F)=m(E)+m(F), \) falls \( E \) und \( F \) disjunkt |
(iv) | \( m(E)\le m(F), \) falls \( E\subseteq F \) |
(v) | \( m([0,1])=m([0,1))=m((0,1])=m((0,1)) \) |
(vi) | \( m \) ist translations- und rotationsinvariant |
Die obigen Elementarinhalte \( |\Sigma_I| \) und \( |\Sigma_A|, \) die wir zur Definition der Jordaninhalte verwendet haben, entsprechen nun genau den Werten \( m(\Sigma_I) \) bzw. \( m(\Sigma_A) \) der Elementarmengen \( \Sigma_i \) bzw. \( \Sigma_A. \) Wir werden im Folgenden diese Eigenschaften der Inhaltsfunktion \( m \) auf der Menge der Elementarmengen heranziehen, um Aussagen über den Jordaninhalt für beschränkte Mengen im \( \mathbb R^n \) herzuleiten.
Eigenschaft (iii) heißt Subadditivität des Elementarinhalts. Im Fall nicht disjunkter Elementarmengen \( E \) und \( F \) gilt stattdessen \[ m(E\cup F)\le m(E)+m(F), \] wie man sich leicht überlegt. Weiter heißt (iv) Monotonie von \( m. \)
Mengenoperationen auf Elementarmengen
Ohne Beweis zitieren wir aus → F. Dalessi, Lemma 2.6:
Besonders bei unseren Untersuchungen zu Jordaninhalten werden uns diese Eigenschaften hilfreich sein.
Eigenschaften des Jordaninhalts
Aus unserer Definition können wir bereits folgende Eigenschaften des Jordaninhalts ableiten.
(i) | Es gelten |
(ii) | Ist \( \Omega \) eine Jordansche Nullmenge, d.h. gilt \( \lambda^*(\Omega)=0, \) so ist \( \Omega \) Jordanmessbar. |
(iii) | Es sind \( \lambda_* \) und \( \lambda^* \) monoton, d.h. im Fall \( \Omega\subseteq\Theta\subset\mathbb R^n \) gelten |
(iv) | Es ist \( \lambda^* \) subadditiv, d.h. es gilt |
(i) | Es ist \( 0\le\lambda_*(\Omega) \) klar. Da \( \Omega \) beschränkt, existiert ein Quader \( Q\subset\mathbb R^n \) mit \( \Omega\subseteq Q \) und \( |Q|\lt\infty, \) also \( \lambda^*(\Omega)\le|Q|\lt\infty \) nach Definition von \( \lambda^*(\Omega). \) Ferner gilt |
\[ |\Sigma_I|\le|\Sigma_A| \]
für die Elementarinhalte einer beliebigen inneren bzw. äußeren Approximation \( \Sigma_I\subseteq\Omega\subseteq\Sigma_A \) von \( \Omega. \) Übergang zum Supremum auf der linken Seite ergibt |
\[ \lambda_*(\Omega)\le|\Sigma_A|, \]
und nach Übergang zum Infimum rechts folgt |
\[ \lambda_*(\Omega)\le\lambda^*(\Omega),\quad\text{also}\ 0\le\lambda_*(\Omega)\le\lambda^*(\Omega)\lt\infty\,. \]
Damit ist (i) gezeigt. | |
(ii) | Insbesondere schließen wir jetzt im Fall \( \lambda^*(\Omega)=0 \) |
\[ 0\le\lambda_*(\Omega)\le\lambda^*(\Omega)=0 \]
d.h. \( \lambda_*(\Omega)=\lambda^*(\Omega), \) und \( \Omega \) ist Jordanmessbar. Das ist (ii). | |
(iii) | Zu \( \varepsilon\gt 0 \) wählen wir eine innere Approximation \( \{Q_i\}_{i=1,\ldots,M} \) von \( \Omega \) mit |
\[ \lambda_*(\Omega)-\varepsilon\le\left|\,\bigcup_{i=1}^MQ_i\,\right|\le\lambda_*(\Theta), \]
da ja ebenfalls \( Q_1\cup\ldots\cup Q_M\subseteq\Theta. \) Das bedeutet zusammenfassend |
\[ \lambda_*(\Omega)-\varepsilon\le\lambda_*(\Theta)\quad\text{für alle}\ \varepsilon\gt 0 \]
und damit \( \lambda_*(\Omega)\le\lambda_*(\Theta). \) Zum Nachweis der zweiten Ungleichung wählen wir zu \( \varepsilon\gt 0 \) eine äußere Approximation \( \{Q_i\}_{i=1,\ldots,N} \) von \( \Theta \) mit |
\[ \lambda^*(\Omega)\le\left|\,\bigcup_{i=1}^NQ_i\,\right|\le\lambda^*(\Theta)+\varepsilon. \]
da ja ebenfalls \( \Omega\subseteq\Theta. \) Wir schließen \( \lambda^*(\Omega)\le\lambda^*(\Theta), \) und es folgt (iii). |
(iv) | Wähle eine beliebige Quaderüberdeckung \( \Sigma \) von \( \Omega \) und eine beliebige Quaderüberdeckung \( \widetilde\Sigma \) von \( \Theta. \) Mit der Subadditivität des Elementarinhalts folgt |
\[ \lambda^*(\Omega\cup\Theta)\le|\Sigma\cup\widetilde\Sigma|\le|\Sigma|+|\widetilde\Sigma|. \]
Auf der rechten Seite gehen wir zum Infimum über und erhalten (iv). |
Damit ist alles bewiesen.\( \qquad\Box \)
In dieser Situation verhät sich also der innere Jordaninhalt superadditiv. Zum Beweis betrachte man zwei innere Quaderapproximationen \( \Sigma \) und \( \widetilde\Sigma \) von \( \Omega \) bzw. \( \Theta. \) Wegen \( \Sigma\cap\widetilde\Sigma=\emptyset \) und \( \Sigma\cup\widetilde\Sigma\subseteq\Omega\cup\Theta \) folgt \[ |\Sigma|+|\widetilde\Sigma|=|\Sigma\cup\widetilde\Sigma|\le\lambda_*(\Omega\cup\Theta). \] Jetzt gehe man links zum Supremum über.
Beispiel: Ein isolierter Punkt im \( \mathbb R^n \) besitzt nur die leere Menge als echte Teilmenge - sein innerer Jordaninhalt ist daher gleich Null. Überdeckungen des Punktes mit immer kleiner werdenen Quadern zeigt, dass auch sein äußerer Jordaninhalt verschwindet und es sich bei der einpunktigen Menge um einen Jordansche Nullmenge handelt.
Jordaninhalt von Elementarmengen
Zum Nachweis betrachte man einmal \( E \) als eine innere Quaderapproximation von \( \Omega=E, \) gleichzeitig aber auch als äußere Quaderapproximation. Es folgt \[ |E|\le\lambda_*(E)\le\lambda^*(E)\le|E|, \] d.h. es gilt \( \lambda_*(E)=\lambda^*(E). \) Außerdem ist der Jordaninhalt auf Elementarmengen \( E \) additiv: Man stelle dazu \( E \) als Vereinigung paarweiser disjunkter Elementarquader \( Q_1,\ldots,Q_N \) dar, so dass \[ \lambda(E)=|E|=|Q_1|+\ldots+|Q_N|=\lambda(Q_1)+\ldots+\lambda(Q_N) \] unter Beachtung von \( |Q_i|=\lambda(Q_N) \) für alle \( i=1,\ldots,N. \)
Jordaninhalt vom Inneren und vom Abschluss
Wir gehen in mehreren Schritten vor.
1. | Wir zeigen \( \lambda_*(\Omega)=\lambda_*(\mathring\Omega). \) Wegen \( \mathring\Omega\subseteq\Omega \) ist zunächst |
\[ \lambda_*(\mathring\Omega)\le\lambda_*(\Omega). \]
Sei weiter \( \{Q_i\}_{i=1,\ldots,M} \) eine innere Quaderapproximation von \( \Omega. \) Es existieren paarweise disjunkte Elementarquader \( P_i \) mit |
\[ \bigcup_{i=1}^NP_i=\bigcup_{i=1}^MQ_i\subseteq\Omega. \]
Wegen \( \mathring A\cup\mathring B\subseteq(A\cup B)^\circ \) erhalten wir für das Innere der linken und rechten Seite |
\[ \bigcup_{i=1}^N\mathring P_i\subseteq\mathring\Omega \quad\text{und damit}\quad \left|\,\bigcup_{i=1}^N\mathring P_i\,\right|\le\lambda_*(\Omega). \]
Nun ermitteln wir |
\[ \sum_{i=1}^N|\mathring P_i| =\sum_{i=1}^N|P_i| =\left|\,\bigcup_{i=1}^NP_i\,\right| =\left|\,\bigcup_{i=1}^MQ_i\,\right| \le\lambda_*(\mathring\Omega) \]
und gehen links zum Supremum über. Es folgt \( \lambda_*(\Omega)\le\lambda_*(\mathring\Omega), \) zusammen also \( \lambda_*(\mathring\Omega)=\lambda_*(\Omega). \) | |
2. | Wir zeigen zweitens \( \lambda^*(\Omega)=\lambda^*(\overline\Omega). \) Wegen \( \Omega\subseteq\overline\Omega \) ist zunächst |
\[ \lambda^*(\Omega)\le\lambda^*(\overline\Omega). \]
Betrachte nun eine äußere Quaderapproximation \( \{Q_i\}_{i=1,\ldots,M} \) von \( \Omega. \) Unter Beachtung der allgemeinen Regel \( \overline{A\cup B}=\overline A\cup\overline B \) folgt wegen der Abgeschlossenheit der \( Q_i \) |
\[ \overline\Omega=\overline{\bigcup_{i=1}^MQ_i}=\bigcup_{i=1}^M\overline Q_i=\bigcup_{i=1}^MQ_i \]
und damit |
\[ \lambda^*(\overline\Omega)\le\left|\,\overline{\bigcup_{i=1}^MQ_i}\,\right|=\left|\,\bigcup_{i=1}^MQ_i\,\right|. \]
Rechts gehen wir zum Infimum über und erhalten \( \lambda^*(\overline\Omega)\le\lambda^*(\Omega), \) zusammen also \( \lambda^*(\Omega)=\lambda^*(\overline\Omega). \) | |
3. | Ist schließlich \( \Omega \) Jordanmessbar, so ist einmal |
\[ \lambda_*(\Omega)=\lambda_*(\mathring\Omega)\le\lambda^*(\mathring\Omega)\le\lambda^*(\Omega)=\lambda_*(\Omega) \]
und damit \( \lambda_*(\mathring\Omega)=\lambda^*(\mathring\Omega), \) d.h. \( \mathring\Omega \) ist Jordanmessbar, aber auch |
\[ \lambda_*(\Omega)=\lambda_*(\mathring\Omega)\le\lambda_*(\overline\Omega)\le\lambda^*(\overline\Omega)=\lambda^*(\Omega)=\lambda_*(\Omega) \]
und damit \( \lambda_*(\overline\Omega)=\lambda^*(\overline\Omega), \) d.h. \( \overline\Omega \) ist ebenfalls Jordanmessbar. |
Kriterien für die Jordanmessbarkeit
Wir wollen nun zwei nützliche Kriterien für die Jordanmessbarkeit herausarbeiten. Für das zweite Kriterium verweisen wir wieder auf → F. Dalessi, Theorem 3.7.
(i) | Es ist \( \Omega \) ist Jordanmessbar genau dann, wenn für jedes \( \varepsilon\gt 0 \) eine innere und eine äußere Quaderapproximation \( \Sigma_I \) bzw. \( \Sigma_A \) existieren mit |
(ii) | Es ist \( \Omega \) Jordanmessbar genau dann, wenn für jedes \( \varepsilon\gt 0 \) eine innere Quaderapproximation \( \Sigma_I \) existieren mit |
Es sind zwei Aussagen zu beweisen.
1. | Es sei \( \Omega \) Jordanmessbar. Zu \( \varepsilon\gt 0 \) existieren eine innere Quaderapproximation \( \Sigma_I \) und eine äußere Quaderapproximation \( \Sigma_A \) mit (beachte \( \lambda(\Omega)=\lambda_*(\Omega)=\lambda^*(\Omega) \)) |
\[ \lambda(\Omega)-\frac{\varepsilon}{2}\le|\Sigma_I|,\quad |\Sigma_A|\le\lambda(\Omega)+\frac{\varepsilon}{2}\,. \]
Wir bilden die Differenz und erhalten |
\[ |\Sigma_A|-|\Sigma_I|\le\lambda(\Omega)+\frac{\varepsilon}{2}-\lambda(\Omega)+\frac{\varepsilon}{2}=\varepsilon, \]
und das zeigt eine Richtung. Umgekehrt existiere zu jedem \( \varepsilon\gt 0 \) eine innere Quaderapproximation \( \Sigma_I \) und eine äußere Quaderapproximation \( \Sigma_A \) mit |
\[ |\Sigma_A|-|\Sigma_I|\lt\varepsilon. \]
Wir schätzen wie folgt ab |
\[ 0\le\lambda^*(\Omega)-\lambda_*(\Omega)\le|\Sigma_A|-|\Sigma_I|\lt\varepsilon, \]
und da \( \varepsilon\gt 0 \) beliebig gewählt wurde, folgt die Jordanmessbarkeit von \( \Omega. \) | |
2. | Zu vorgelegtem \( \varepsilon\gt 0 \) sei zunächst \( \Sigma\subseteq\Omega \) gegeben mit \( \lambda^*(\Omega\setminus\Sigma)\lt\varepsilon. \) Ferner sei \( \widetilde\Sigma\subset\mathbb R^d \) eine äußere Quaderapproximation von \( \Omega\setminus\Sigma \) mit der Eigenschaft |
\[ |\widetilde\Sigma|\le\lambda^*(\Omega\setminus\Sigma)+\varepsilon\lt 2\varepsilon. \]
Es gelten die Mengeninklusionen |
\[ \Sigma\setminus\widetilde\Sigma\subseteq\Omega\subseteq\Sigma\cup\widetilde\Sigma. \]
Unter Beachtung der Identität \( A\setminus(B\setminus C)=(A\setminus B)\cap(A\cap C) \) ermitteln wir |
\[ \begin{array}{rcl} \displaystyle (\Sigma\cup\widetilde\Sigma)\setminus(\Sigma\setminus\widetilde\Sigma)\!\!\! & = & \!\!\!\displaystyle \big[(\Sigma\cup\widetilde\Sigma)\setminus\Sigma\big]\cap\big[(\Sigma\cup\widetilde\Sigma)\cap\widetilde\Sigma\big] \\[0.8ex] & = & \!\!\!\displaystyle \widetilde\Sigma\cap\widetilde\Sigma\,=\,\widetilde\Sigma \end{array} \]
und damit für den zugehörigen elementargeometrischen Inhalt |
\[ |(\Sigma\cup\widetilde\Sigma)\setminus(\Sigma\setminus\widetilde\Sigma)| =|\Sigma\cup\widetilde\Sigma|-|\Sigma\setminus\widetilde\Sigma| =|\widetilde\Sigma|\lt 2\varepsilon. \]
Es folgt |
\[ |\Sigma\setminus\widetilde\Sigma| \le\lambda_*(\Omega) \le\lambda^*(\Omega) \le|\Sigma\cup\widetilde\Sigma| \lt|\Sigma\setminus\widetilde\Sigma|+2\varepsilon \]
für jede beliebige Wahl von \( \varepsilon\gt 0, \) d.h. \( \Omega \) ist Jordanmessbar. Umgekehrt sei nun \( \Omega \) Jordanmessbar. Zu \( \varepsilon\gt 0 \) existieren dann eine innere Quaderapproximation \( \Sigma_I \) und eine äußere Quaderapproximation \( \Sigma_A \) von \( \Omega \) mit |
\[ \lambda(\Omega)\le|\Sigma_I|+\frac{\varepsilon}{4}\,,\quad |\Sigma_A|\le\lambda(\Omega)+\frac{\varepsilon}{4}\,. \]
Es folgt |
\[ |\Sigma_A\setminus\Sigma_I| =|\Sigma_A|-|\Sigma_I| \le\lambda(\Omega)+\frac{\varepsilon}{4}-\lambda(\Omega)+\frac{\varepsilon}{4} =\frac{\varepsilon}{2}\,, \]
und damit wegen \( \Omega\setminus\Sigma_I\subseteq\Sigma_A\setminus\Sigma_I, \) der Monotonie des äußeren Jordaninhalts \( \lambda^* \) und der Jordanmessbarkeit der Elementarmenge \( \Sigma_A\setminus\Sigma_I \) |
\[ \lambda^*(\Omega\setminus\Sigma_I) \le\lambda^*(\Sigma_A\setminus\Sigma_I) =\lambda(\Sigma_A\setminus\Sigma_I) =|\Sigma_A\setminus\Sigma_I| \le\frac{\varepsilon}{2}\lt\varepsilon. \]
Das zeigt das zweite Kriterium. |
Damit ist alles bewiesen.\( \qquad\Box \)
Vereinigung und Durchschnitt Jordanmessbarer Mengen
Wir wollen die Jordanmessbarkeit von Vereinigung und Durchschnitt Jordanmessbarer Mengen beweisen.
Wir gehen in mehreren Schritten vor. Da \( \Omega \) und \( \Theta \) nach Voraussetzung Jordanmessbar sind, existieren zu vorgegebenem \( \varepsilon\gt 0 \) eine innere Quaderapproximation \( \Sigma\subseteq\Omega \) von \( \Omega \) und eine innere Quaderapproximation \( \widetilde\Sigma\subseteq\Theta \) von \( \Theta \) mit (siehe Kriterium (ii) zur Jordanmessbarkeit) \[ \lambda^*(\Omega\setminus\Sigma)\lt\varepsilon,\quad \lambda^*(\Theta\setminus\widetilde\Sigma)\lt\varepsilon. \]
1. | Es ist \( \Sigma\cup\widetilde\Sigma\subseteq\Omega\cup\Theta. \) Unter Verwendung der Subadditivität und Monotonie des äußeren Jordaninhalts schätzen wir wie folgt ab: |
\[ \begin{array}{l} \lambda_*((\Omega\cup\Theta)\setminus(\Sigma\cup\widetilde\Sigma)) \\[0.8ex] \qquad=\,\lambda^*([\Omega\setminus(\Sigma\cup\widetilde\Sigma)]\cup[\Theta\setminus(\Sigma\cup\widetilde\Sigma)]) \\[0.8ex] \qquad\le\,\lambda^*(\Omega\setminus(\Sigma\cup\widetilde\Sigma))+\lambda^*(\Theta\setminus(\Sigma\cup\widetilde\Sigma)) \\[0.8ex] \qquad\le\,\lambda^*(\Omega\setminus\Sigma)+\lambda^*(\Theta\setminus\widetilde\Sigma) \,\lt\,2\varepsilon. \end{array} \]
Nach dem Kriterium (ii) zur Jordanmessbarkeit folgt die Jordanmessbarkeit von \( \Omega\cup\Theta. \) | |
2. | Es ist \( \Sigma\cap\widetilde\Sigma\subseteq\Omega\cap\Theta. \) Unter Verwendung der Subadditivität und Monotonie des äußeren Jordaninhalts schätzen wir wie folgt ab: |
\[ \begin{array}{l} \lambda^*((\Omega\cap\Theta)\setminus(\Sigma\cap\widetilde\Sigma)) \\[0.8ex] \qquad=\,\lambda^*([(\Omega\cap\Theta)\setminus\Sigma]\cup[(\Omega\cap\Theta)\setminus\widetilde\Sigma]) \\[0.8ex] \qquad\le\,\lambda^*((\Omega\cap\Theta)\setminus\Sigma)+\lambda^*((\Omega\cap\Theta)\setminus\widetilde\Sigma) \\[0.8ex] \qquad\le\,\lambda^*(\Omega\setminus\Sigma)+\lambda^*(\Theta\setminus\widetilde\Sigma) \,\lt\,2\varepsilon. \end{array} \]
Nach dem Kriterium (ii) zur Jordanmessbarkeit folgt die Jordanmessbarkeit von \( \Omega\cap\Theta. \) |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Differenz Jordanmessbarer Mengen
Wir wollen nun die Jordanmessbarkeit der Differenz sowie der symmetrischen Differenz zweier Jordanmessbarer Mengen beweisen. Dazu benötigen wir den folgenden
Wir gehen in zwei Schritten vor.
1. | Zu vorgegebenem \( \varepsilon\gt 0 \) sei \( \Sigma\subseteq C\subseteq Q \) eine innere Quaderapproximation mit |
\[ \lambda_*(C)-\varepsilon\le|\Sigma|. \]
Beachte ferner |
\[ \lambda^*(Q\setminus C)\le\lambda^*(Q\setminus\Sigma)=|Q\setminus\Sigma|=|Q|-|\Sigma| \]
woraus wir zusammenfassend schließen |
\[\lambda_*(C)-\varepsilon\le|\Sigma|\le|Q|-\lambda^*(Q\setminus C) \]
bzw. nach Umstellen |
\[ \lambda_*(C)+\lambda^*(Q\setminus C)\le|Q|+\varepsilon. \]
2. | Zu dem vorgegebenen \( \varepsilon\gt 0 \) sei nun \( \widetilde\Sigma\supseteq Q\setminus C \) eine äußere Quaderapproximation mit |
\[ |\widetilde\Sigma|\le\lambda^*(Q\setminus C)+\varepsilon. \]
Wegen \( Q\subseteq C\cup\widetilde\Sigma \) ist ferner |
\[ |Q|=\lambda_*(Q)\le\lambda^*(C)+\lambda_*(\widetilde\Sigma)=\lambda_*(C)+|\widetilde\Sigma|, \]
woraus wir zusammenfassend schließen |
\[ |Q|-\lambda_*(C)\le|\widetilde\Sigma|\le\lambda^*(Q\setminus C)+\varepsilon \]
bzw. nach Umstellen |
\[ \lambda_*(C)+\lambda^*(Q\setminus\Sigma)\ge|Q|-\varepsilon. \] Da \( \varepsilon\gt 0 \) in beiden Fällen beliebig war, folgt die Behauptung.\( \qquad\Box \)
Ersetzt man in diesem Hilfssatz \( C\subseteq Q \) durch \( Q\setminus C\subseteq Q, \) so geht die bewiesene Identität über in \[ \lambda^*(C)+\lambda_*(Q\setminus C)=|Q|. \] Wir kommen nun zum
Wir gehen in mehreren Schritten vor. Ohne Einschränkung betrachten wir nur den Fall \( \Omega\subseteq\Theta, \) und es sei \( Q\subset\mathbb R^n \) ein Quader mit \( \Omega\subseteq\Theta\subseteq Q. \)
1. | Wir werten die Identität aus dem Hilfssatz für \( C=\Theta \) und \( C=Q\setminus\Theta \) aus und erhalten |
\[ \begin{array}{l} \lambda_*(\Theta)+\lambda^*(Q\setminus\Theta)=|Q|, \\[0.8ex] \lambda_*(\Theta\setminus\Omega)+\lambda^*(Q\setminus(\Theta\setminus\Omega))=|Q|. \end{array} \]
Desweiteren erinnern wir an die Subadditivität des äußeren Jordaninhalts, was für uns bedeutet |
\[ \lambda^*(Q\setminus(\Theta\setminus\Omega)) =\lambda^*((Q\setminus\Theta)\cup\Omega) \le\lambda^*(Q\setminus\Theta)+\lambda^*(\Omega). \]
Jetzt schätzen wir wie folgt ab |
\[ \begin{array}{rcl} |Q|-\lambda_*(\Theta\setminus\Omega)\!\!\! & = & \!\!\! \lambda^*(Q\setminus(\Theta\setminus\Omega)) \\[0.8ex] & \le & \!\!\! \lambda^*(Q\setminus\Theta)+\lambda^*(\Omega) \\[0.8ex] & = & \!\!\! |Q|-\lambda_*(\Theta)+\lambda^*(\Omega), \end{array} \]
und Umstellen liefert |
\[ \lambda_*(\Theta\setminus\Omega)\ge\lambda_*(\Theta)-\lambda^*(\Omega). \]
2. | Die Identität aus unserer Bemerkung nach vorigem Hilfssatz werten wir für \( C=\Theta \) und für \( C=\Theta\setminus\Omega \) aus und erhalten |
\[ \begin{array}{l} \lambda^*(\Theta)+\lambda_*(Q\setminus\Theta)=|Q|, \\[0.8ex] \lambda^*(\Theta\setminus\Omega)+\lambda_*(Q\setminus(\Theta\setminus\Omega))=|Q|. \end{array} \]
Da \( Q\setminus\Theta \) und \( \Omega \) disjunkt sind, erinnern wir an die Superadditivität des Jordaninhalts in der Form |
\[ \lambda_*((Q\setminus\Theta)\cup\Omega)\ge\lambda^*(Q\setminus\Theta)+\lambda_*(\Omega). \]
Jetzt schätzen wir wie folgt ab |
\[ \begin{array}{rcl} |Q|-\lambda^*(\Theta\setminus\Omega)\!\!\! & = & \!\!\! \lambda_*(Q\setminus(\Theta\setminus\Omega)) \\[0.8ex] & \ge & \!\!\! \lambda_*(Q\setminus\Theta)+\lambda_*(\Omega) \\[0.8ex] & = & \!\!\! |Q|-\lambda^*(\Theta)+\lambda_*(\Omega), \end{array} \]
und Umstellen liefert |
\[ \lambda^*(\Theta\setminus\Omega)\le\lambda^*(\Theta)-\lambda_*(\Omega). \]
3. | Wir fassen die beiden vorigen Beweispunkte zusammen |
\[ \lambda_*(\Theta)-\lambda^*(\Omega)\le\lambda_*(\Theta\setminus\Omega)\le\lambda^*(\Theta\setminus\Omega)\le\lambda^*(\Omega)-\lambda_*(\Omega). \]
Nach Voraussetzung sind aber \( \Omega \) und \( \Theta \) Jordanmessbar, so dass folgt |
\[ \lambda(\Theta)-\lambda(\Omega)\le\lambda_*(\Theta\setminus\Omega)\le\lambda^*(\Theta\setminus\Omega)\le\lambda(\Omega)-\lambda(\Omega), \]
also \( \lambda_*(\Theta\setminus\Omega)=\lambda^*(\Theta\setminus\Omega) \) bzw. die Jordanmessbarkeit der Differenz \( \Theta\setminus\Omega. \) | |
4. | Die Jordanmessbarkeit der symmetrischen Differenz \( \Theta\triangle\Omega \) folgt aus der Messbarkeit von \( \Theta\setminus\Omega \) und \( \Omega\setminus\Theta \) (unter entsprechend neu gestellten Voraussetzungen an die Mengen \( \Omega \) und \( \Theta \)) sowie der darauf anzuwendenden Jordanmessbarkeit der Vereinigung beider Differenzen. |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Welche Eigenschaften soll eine Inhaltsfunktion bzw. - allgemeiner gesprochen - eine Maßfunktion besitzen? Hier eine Wunschliste:
(W1) | Alle Teilmengen des \( \mathbb R^n \) sollen messbar sein - jedenfalls möglichst viele. |
(W2) | Das Maß einer Teilmenge einer umfassenden Menge soll nicht größer sein als das Maß der umfassenden Menge selbst. |
(W3) | Ein isolierter Punkt soll verschwindendes Maß besitzen. |
(W4) | Das Maß eines Quaders soll gleich seinem elementargeometrischen Inhalt sein. |
(W5) | Translation und Rotation um einen festen Wert soll den Wert des Maßes nicht ändern. |
(W6) | Das Maß des Ganzen soll gleich der Summe seiner disjunkten Teile sein. |
Eine solche Abbildung kann es aber nicht geben!
So implizieren (W3) und (W6), dass das Maß einer beliebigen Menge reeller Zahlen, die ja aus „disjunkten Punkten” besteht, verschwindet. Das widerspricht aber (W4).
(W6) aber spiegelt die Linearität und Additivität des Maßes wider und soll nicht so einfach gestrichen werden.
Wir werden tatsächlich den Wunsch aufgeben, wirklich alle Mengen messen zu können. Das führt uns zu dem Begriff des Lebesgueschen Maßes.
Jede Menge \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) kann überdeckt werden durch eine abzählbare Vereinigung beschränkter, offener \( n \)-dimensionaler Quader \[ Q:=\{(x_1,\ldots,x_n)\in\mathbb R^n\,:\,a_i\lt x_i\lt b_i\ \mbox{für}\ i=1,\ldots,n\}\,, \] worin wir \( -\infty\lt a_i\lt b_i\lt\infty \) annehmen, mit dem elementargeometrischen Inhalt \[ |Q|=(b_1-a_1)\cdot(b_2-a_2)\cdot\ldots\cdot(b_n-a_n). \]
Zum Vergleich: Zur Definition des Jordaninhalts haben wir nur endlich viele (abgeschlossene) Quader zugelassen - aus diesem Grund verwendet man in diesem Fall auch die Bezeichnung Inhalt in Abgrenzung zum allgemeineren Begriff eines Maßes.
Wir sprechen von einem äußeren Maß, da wir nur Approximationen von außen zulassen (das ist keine richtige Definition). Zur Definition eines zugehörigen Messbarkeitsbegriffs benötigen wir daher eine gesonderte Bedingung, da wir nicht auf ein inneres Maß zurückzugreifen wollen.
Wie auch beim Jordaninhalt, so ist es auch hier oft üblich, halboffene Quader zur Überdeckung von Mengen \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) zu benutzen anstelle offener Quader. Das Maß selbst bleibt dabei unverändert.
Wir beginnen unsere Untersuchungen zum Lebesguemaß mit dem
(i) | Für jede Menge \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) existiert \( \ell_n^*(\Omega)\in[0,\infty] \) in \( \overline{\mathbb R}. \) |
(ii) | Das äußere Lebesguemaß ist monoton im Sinne von |
wobei wir \( \ell_n^*(\Omega)\lt\infty \) voraussetzen. | |
(iii) | Für jeden isolierten Punkt \( x=(x_1,\ldots,x_n)\in\mathbb R^n \) gilt |
(i) | Die Aussage ergibt sich unmittelbar aus der Definition von \( \mathbb R. \) |
(ii) | Wir nehmen \( \ell_n^*(\Theta)\lt\infty \) an, denn sonst ist nichts zu zeigen. Angenommen, es gilt \( \ell_n^*(\Omega)\gt\ell_n^*(\Theta) \) bzw. genauer \( \eta:=\ell_n^*(\Omega)-\ell_n^*(\Theta)\gt 0. \) Zu \( \varepsilon=\frac{\eta}{2} \) existiert eine Überdeckung \( \{Q_1,Q_2,\ldots\} \) von \( \Theta \) mit beschränkten, offenen Quadern \( Q_k, \) so dass |
\[ \sum_{k\ge 1}|Q_k|\le\ell_n^*(\Theta)+\varepsilon\lt\ell_n^*(\Theta)+\eta=\ell_n^*(\Omega). \]
Wegen \( \Omega\subseteq\Theta \) überdeckt aber \( \{Q_1,Q_2,\ldots\} \) auch \( \Omega, \) so dass wir diese Ungleichungskette wie folgt erweitern können |
\[ \sum_{k\ge 1}|Q_k|\lt\ell_n^*(\Theta)+\eta=\ell_n^*(\Omega)\le\sum_{k\ge 1}|Q_k|. \]
Das ist ein Widerspruch, weshalb \( \ell_n^*(\Omega)\le\ell_n^*(\Theta) \) richtig ist, also (ii). | |
(iii) | Für beliebiges \( \varepsilon\gt 0 \) gilt |
\[ x\in(x_1-\varepsilon,x_1+\varepsilon)\times\ldots\times(x_n-\varepsilon,x_n+\varepsilon), \]
also \( \ell_n^*(\{x\})\le(2\varepsilon)^n \) nach Definition von \( \ell_n^*(\{x\}). \) Es folgt (iii). |
Damit ist alles bewiesen.\( \qquad\Box \)
Obwohl wir an dieser Stelle noch keinen Messbarkeitsbegriff für das Lebesguemaß haben, können wir festhalten, dass Aussage (ii) unseren Wunsch (W2) widerspiegelt und Aussage (iii) unseren Wunsch (W3).
Jordaninhalt und äußeres Lebesguemaß
Wir gehen in zwei Beweisschritten vor.
1. | Wir zeigen zunächst die Ungleichung \( \ell_n^*(\Omega)\le\lambda^*(\Omega). \) Sei dazu vermöge |
\[ \Omega\subseteq\bigcup_{i=1}^mK_i\,,\quad K_i\subset\mathbb R^n\ \mbox{kompakter Quader,} \]
eine Überdeckung von \( \Omega \) durch kompakte Quader, wie wir sie zur Definition des äußeren Jordaninhalts verwendet haben, gegeben. Zu vorgelegtem \( \varepsilon\gt 0 \) ersetzen wir jedes \( K_i \) durch einen offenen Quader \( \widetilde Q_i \) mit |
\[ K_i\subset\widetilde Q_i \quad\mbox{und}\quad |\widetilde Q_i|\le|K_i|+\frac{\varepsilon}{2^i} \quad\mbox{für}\ i=1,\ldots,m. \]
Dann erhalten wir vermittels |
\[ \Omega\subset\bigcup_{i=1}^m\widetilde Q_i \]
eine endliche, offene Überdeckung von \( \Omega, \) für welche gilt (o.b.Q.: offener, beschränkter Quader) |
\[ \begin{array}{lll} \ell_n^*(\Omega)\!\!\! & = & \!\!\!\displaystyle \inf\left\{\sum_{k\ge 1}|Q_k|\,:\,\Omega\subset\bigcup_{k\ge 1}Q_k,\ Q_k\subset\mathbb R^n\ o.b.Q.\right\} \\[1ex] & \le & \!\!\!\displaystyle \sum_{i=1}^m|\widetilde Q_i| \,\le\,\sum_{i=1}^m\left(|K_i|+\frac{\varepsilon}{2^i}\right) \\[1ex] & = & \!\!\!\displaystyle \sum_{i=1}^m|K_i|+\varepsilon, \end{array} \]
Da nun \( \{K_i\}_{i=1,\ldots,m} \) und \( \varepsilon\gt 0 \) beliebig waren, folgt \( \ell_n^*(\Omega)\le\lambda^*(\Omega). \) | |||
2. | Wir zeigen nun die Ungleichung \( \lambda_*(\Omega)\le\ell_n^*(\Omega). \) | ||
|
\[ \Omega\subset\bigcup_{i\ge 1}Q_i \quad\mbox{mit}\quad \sum_{i\ge 1}|Q_i|\lt\ell_n^*(\Omega)+\varepsilon,\ \ell_n^*(\Omega)\lt\infty\,, \]
|
\[ \Omega\subset\bigcup_{i=1}^pQ_i\quad\mbox{mit einem geeigneten}\ p\in\mathbb N. \]
|
\[ \begin{array}{lll} \lambda_*(\Omega)\!\!\! & = & \!\!\!\displaystyle \lambda(\Omega) \,\le\,\lambda(\Omega_1\cup\ldots\cup\Omega_p) \\[1ex] & \le & \!\!\!\displaystyle \sum_{i=1}^p\lambda(\Omega_i) =\sum_{i=1}^p|\Omega_i| \\[1ex] & \le & \!\!\!\displaystyle \sum_{i\ge 1}|\Omega_i| \,\le\,\ell_n^*(\Omega)+\varepsilon. \end{array} \]
|
\[ \lambda_*(\Sigma_I)\le\ell_n^*(\Sigma_I)\le\lambda^*(\Sigma_I), \]
|
\[ \lambda_*(\Sigma_I) =\lambda(\Sigma_I) \le\ell_n^*(\Sigma_I) \le\ell_n^*(\Omega). \]
|
Damit ist der Satz vollständig bewiesen.\( \qquad\Box \)
Wir nähern uns nun unserem Wunsch (W6) an.
Betrachte Mengen \( \Omega_k\subset\mathbb R^n \) mit \( \ell_n^*(\Omega_k)\lt\infty \) für alle \( k=1,2,\ldots \) und (absolut) konvergenter Reihe auf der rechten Seite der behaupteten Ungleichung, denn sonst ist nichts zu zeigen. Auf Grund der Minimaleigenschaft des äußeren Lebesguemaßes finden wir zu \( \varepsilon\ge 0 \) eine offene Überdeckung der \( \Omega_k \) mit offenen Quadern \( Q_{k_\ell}\subset\mathbb R^n, \) d.h. \[ \Omega_k\subset\bigcup_{\ell\ge 1}Q_{k_\ell}\,,\quad k=1,2,\ldots, \] so dass gilt \[ \ell_n^*(\Omega_k) \le\sum_{\ell\ge 1}|Q_{k_\ell}| \le\ell_n^*(\Omega_k)+\frac{\varepsilon}{2^k}\,,\quad k=1,2,\ldots \] Jetzt betrachten wir wieder die gesamte Überdeckung über alle \( Q_k \) und erhalten nach dem Riemannschen Umordnungssatz \[ \begin{array}{lll} \displaystyle \ell_n^*\left(\,\bigcup_{k\ge 1}\Omega_k\right)\!\!\! & \le & \!\!\!\displaystyle \sum_{k,\ell\ge 1}|Q_{k_\ell}| =\sum_{k\ge 1}\sum_{\ell\ge 1}|Q_{k_\ell}| \\[1ex] & \le & \!\!\!\displaystyle \sum_{k\ge 1}\ell_n^*(\Omega_k)+\sum_{k\ge 1}\frac{\varepsilon}{2^k} \le\sum_{k\ge 1}\ell_n^*(\Omega_k)+\varepsilon. \end{array} \] Mit \( \varepsilon\to 0 \) folgt die Behauptung.\( \qquad\Box \)
Das äußere Lebesguemaß ist nicht notwendig additiv auf beliebigen Teilmengen von \( \mathbb R^n, \) selbst wenn diese diskjunkt sind. Das zeigen Auswertungen des äußeren Lebesguemaßes auf nichtmessbaren Mengen. Es gilt aber:
Zu \( \varepsilon\gt 0 \) sei nämlich \( \{Q_k\}_{k=1,2,\ldots} \) eine Überdeckung von \( \Omega\cup\Theta \) mit der Eigenschaft \[ \sum_{k\ge 1}|Q_k|\le\ell_n^*(\Omega\cup\Theta)+\varepsilon \] gewählt, und es gelte darüberhinaus \[ \text{diam}\,Q_k\lt\frac{\delta}{4}\,. \] Dann gilt \[ \{Q_k\}_{k=1,2,\ldots}=\{Q_k^{(1)}\}_{k=1,2,\ldots}\cup\{Q_k^{(2)}\}_{k=1,2,\ldots}\cup\{Q_k^{(3)}\}_{k=1,2,\ldots} \] mit paarweise disjunkten Teilmengen \( \{Q_k^{(i)}\}_{k=1,2,\ldots} \) für \( i=1,2,3, \) wobei
\( \circ \) | \( Q_k^{(1)}\cap\Omega\not=0 \) und \( Q_k^{(1)}\cap\Theta=0, \) |
\( \circ \) | \( Q_k^{(2)}\cap\Omega=0 \) und \( Q_k^{(2)}\cap\Theta\not=0, \) |
\( \circ \) | \( Q_k^{(3)}\cap\Omega=0 \) und \( Q_k^{(3)}\cap\Theta=0. \) |
Nun schätzen wir wie folgt ab \[ \ell_n^*(\Omega)+\ell_n^*(\Theta) \le\sum_{k\ge 1}|Q_k^{(1)}|+\sum_{k\ge 1}|Q_k^{(2)}| \le\sum_{k\ge 1}|Q_k| \le\ell_n^*(\Omega\cup\Theta)+\varepsilon. \] Zusammen mit der stets geltenden Subadditivität \( \ell_n^*(\Omega\cup\Theta)\le\ell_n^*(\Omega)+\ell_n^*(\Theta) \) folgt die behauptete Gleichheit.\( \qquad\Box \)
Translationsinvarianz des äußeren Lebesguemaßes
Wir studieren nun das Verhalten des äußeren Lebesguemaßes unter Translationen \[ \Omega\subseteq\mathbb R^n\quad\mapsto\quad\Omega+z:=\{x+z\in\mathbb R^n\,:\,x\in\Omega\}\,. \] Dabei konzentrieren wir uns auf Mengen endlichen äußeren Lebesguemaßes.
Wir gehen in mehreren Schritten vor.
1. | Mit \( -\infty\lt a\lt b\lt\infty \) betrachten wir das Intervall \( I=(a,b) \) sowie dessen Bild nach Translation \( I+z=(a+z,b+z). \) Offenbar sind |
\[ |I|=b-a,\quad |I+z|=(b+z)-(a+z)=b-a, \]
d.h. es gilt \( |I|=|I+z|. \) | |
2. | Es folgt, dass der elementargeometrische Inhalt eines offenen, beschränkten Quaders \( Q, \) welches gleich dem Produkt von Intervalllängen ist, translationsinvariant ist, d.h. |
\[ |Q|=|Q+z|. \]
3. | Es ist |
\[ \Omega\subseteq\bigcup_{k\ge 1}Q_k\quad\text{genau dann, wenn}\quad\Omega+z\subseteq\bigcup_{k\ge 1}(Q_k+z). \]
Ist nämlich \( x\in\Omega, \) so existiert ein \( Q_k \) mit \( x\in Q_k. \) Sei nun \( y\in\Omega+z. \) Dann existiert ein \( x\in\Omega, \) so dass \( y=x+z, \) weshalb \( y\in Q_k+z, \) wenn \( x\in Q_k \) vorausgesetzt wird. Die umgekehrte Inklusion zeigt man analog. | |
4. | Zu vorgegebenem \( \varepsilon\gt 0 \) existiert eine Überdeckung \( \{Q_k\}_{k=1,2,\ldots} \) von \( \Omega\subset\mathbb R \) |
\[ \sum_{k\ge 1}|Q_k|\le\ell_n^*(\Omega)+\varepsilon. \]
Da \( \{Q_k+z\}_{k=1,2,\ldots,\ldots} \) dann \( \Omega+z \) überdeckt, können wir wie folgt abschätzen: |
\[ \ell_n^*(\Omega+z) \le\sum_{k\ge 1}|Q_k+z| =\sum_{k\ge 1}|Q_k| \lt\ell_n^*(\varepsilon)+\varepsilon. \]
Da \( \varepsilon\ge 0 \) beliebig gewählt wurde, folgt \( \ell_n^*(\Omega+z)\le\ell_n^*(\Omega). \) Die umgekehrte Abschätzung macht man sich analog klar. |
Damit ist alles bewiesen.\( \qquad\Box \)
Die Translationsinvarianz des äußeren Lebesguemaßes beruht also im Wesentlichen auf der Translationsinvarianz der überdeckenden offenen Quader. Entsprechend beweist man also auch die Invarianz gegenüber Drehungen und Spiegelungen.
Diejenigen Mengen zu charakterisieren, für welche sich das äußere Lebesguemaß abzählbar additiv verhält, ist im Jahre 1914 dem griechischen Mathematiker → C. Caratheodory gelungen.
Die Idee ist, das jede Menge \( C\subseteq\mathbb R^n \) bez. einer Menge \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) in die Mengendurchschnitte \( C\cap\Omega \) und \( C\cap\Omega^c \) zerlegt werden kann, genauer \[ C=(C\cap\Omega)\cup(C\cap\Omega^c)=(C\cap\Omega)\cup(C\setminus\Omega), \] was Caratheodory zum tragenden Prinzip der gesamten Theorie machte.
Die Subadditivität des äußeren Lebesguemaßes liefert \[ \ell_n^*(C)\le\ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\cap\Omega^c). \] Zum Nachweis des Caratheodoryschen Kriteriums genügt es also, wenn wir uns überzeugen von der inversen Ungleichung \[ \ell_n^*(C)\ge\ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\cap\Omega^c). \]
In → C.A. Rogers, Seite 3, verwendet der Autor eine alternative Definition von Messbarkeit, die wir an dieser Stelle als Satz formulieren wollen, um das Caratheodorykriterium aus unserer Definition anschaulicher zu machen.
1. | Für alle \( C\subseteq\mathbb R^n \) gelte das Caratheodorykriterium |
\[ \ell_n^*(C)=\ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\cap\Omega^c). \]
Wähle ein \( A\subseteq\Omega \) und ein \( B\subseteq\Omega^c \) beliebig. Mit \( C:=A\cup B \) gelten dann |
\[ A=C\cap\Omega,\quad B=C\cap\Omega^c\,, \]
und nach Voraussetzung folgt das Rogerskriterium |
\[ \ell_n^*(A\cup B)=\ell_n^*(A)+\ell_n^*(B). \]
2. | Nun gelte für alle \( A\subset\Omega \) und alle \( B\subseteq\Omega^c \) das Rogerskriterium |
\[ \ell_n^*(A\cup B)=\ell_n^*(A)+\ell_n^*(B). \]
Wähle ein \( C\subseteq\mathbb R^n \) beliebig und setze |
\[ \begin{array}{l} A:=C\cap\Omega\subseteq\Omega,\quad B:=C\cap\Omega^c\subseteq\Omega^c\,, \\[0.8ex] A\cup B=(C\cap\Omega)\cup(C\cap\Omega^c)=C. \end{array} \]
Nach Voraussetzung folgt daher das Caratheodorykriterium |
\[ \ell_n^*(C)=\ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\cap\Omega^c). \] Damit ist der Satz bewiesen.\( \qquad\Box \)
Man sagt, zwei Mengen \( A,B\subseteq\mathbb R^n \) mit ebendieser Eigenschaft werden durch \( \Omega \) getrennt.
Inneres und äußeres Lebesguemaß
Eine weitere Möglichkeit, die Lebesguemessbarkeit von Mengen \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) zu erklären, besteht darin, ein inneres Lebesguemaß zu definieren und vergleichbar zur Definition der Jordanmessbarkeit beschränkter Mengen vorzugehen. Beispielsweise geht → G. Edgar, Seite 142, wie folgt vor.
Zur Definition von Lebesguemessbarkeit muss nun unterschieden werden:
\( \circ \) | Ist \( \ell_n^*(\Omega)\lt\infty, \) so heißt \( \Omega \) Lebesguemessbar, falls ihr inneres und ihr äußeres Lebesguemaß übereinstimmen. |
\( \circ \) | Ist \( \ell_n^*(\Omega)=\infty, \) so heißt \( \Omega \) Lebesguemessbar, falls \( \Omega\cap[-M,M]^n \) Lebesguemessbar ist für alle \( M\in\mathbb N \) im Sinne des ersten Punktes. |
Im Folgenden werden wir jedoch die Lebesguemessbarkeit im Sinne von Caratheodory verwenden.
Erste Beispiele Lebesguemessbarer Mengen
Mit Hilfe des Caratheodorykriteriums beweisen wir nun den
\( \circ \) | die leere Menge \( \emptyset, \) |
\( \circ \) | die Menge \( \mathbb R^n, \) |
\( \circ \) | jede Menge \( \Omega\subset\mathbb R^n \) mit \( \ell_n^*(\Omega)=0. \) |
Ist ferner die Menge \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) Lebesguemessbar, so auch ihr Komplement \( \Omega^c=\mathbb R^n\setminus\Omega. \)
Wir berechnen unter Beachtung der Subadditivität und wegen \( \ell_n^*(\emptyset)=0 \) und \( \emptyset^c=\mathbb R^n \) \[ \ell_n^*(C) \le\ell_n^*(C\cap\emptyset)+\ell_n^*(C\cap\emptyset^c) =\ell_n^*(\emptyset)+\ell_n^*(C) =\ell_n^*(C). \] Also gilt hierin überall Gleichheit, und es folgt die Lebesguemessbarkeit von \( \emptyset. \) Entsprechend ist \[ \ell_n^*(C) \le\ell_n^*(C\cap\mathbb R)+\ell_n^*(C\cap(\mathbb R^n)^c) =\ell_n^*(C)+\ell_n^*(\emptyset) =\ell_n^*(C), \] was die Lebesguemessbarkeit von \( \mathbb R^n \) bedeutet. Gilt ferner \( \ell_n^*(\Omega)=0, \) so folgt wegen \( C\cap\Omega\subseteq\Omega \) und \( C\setminus\Omega\subseteq C \) unter Beachtung der Monotonie des äußeren Lebesguemaßes \[ \ell_n^*(C) \le\ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\setminus\Omega) \le\ell_n^*(\Omega)+\ell_n^*(C) =\ell_n^*(C), \] d.h. Gleichheit und damit die behauptete Lebesguemessbarkeit. Die Lebesguemessbarkeit von \( \Omega^c \) unter Voraussetzung der Lebesguemessbarkeit von \( \Omega \) folgt schließlich aus der Definition: \[ \ell_n^*(C) =\ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\cap\Omega^c) =\ell_n^*(C\cap\Omega^c)+\ell_n^*(C\cap\Omega). \] Damit ist alles bewiesen.\( \qquad\Box \)
Jordanmessbarkeit und Lebesguemessbarkeit
Wir kommen nun zum oben angekündigten
Seien \( \Omega\subset\mathbb R^n \) Jordanmessbar und \( C\in\mathbb R^n \) mit \( \ell_n^*(C)\lt\infty \) beliebig. Zu \( \varepsilon\gt 0 \) existieren dann abzählbar viele offene und beschränkte Quader \( Q_i\subset\mathbb R^n \) mit \[ C\subseteq\bigcup_{i\ge 1}Q_i\,,\quad \sum_{i\ge 1}|Q_i|\le\ell_n^*(C)+\varepsilon. \] Mit \( \Omega \) und den offenen Quadern \( Q_i \) sind die Durchschnitte \( Q_i\cap\Omega \) und die Differenzen \( \Omega_i\cap\Omega^c=Q_i\setminus\Omega \) Jordanmessbar, also wissen wir \[ \ell_n^*(Q_i\cap\Omega)=\lambda(Q_i\cap\Omega),\quad \ell_n^*(Q_i\cap\Omega^c)=\lambda(Q_i\cap\Omega^c). \] Ferner gelten \[ C\cap\Omega\subseteq\bigcup_{i\ge 1}(Q_i\cap\Omega),\quad C\cap\Omega^c\subseteq\bigcup_{i\ge 1}(Q_i\cap\Omega^c). \] Da nun die Jordanmessbaren Mengen \( Q_i\cap\Omega \) und \( Q_i\cap\Omega^c \) disjunkt sind, gilt für den Jordaninhalt \[ \begin{array}{rcl} \lambda(Q_i)\!\!\! & = & \!\!\!\displaystyle \lambda((Q_i\cap\Omega)\cup(Q_i\cap\Omega^c)) \\[0.8ex] & = & \!\!\!\displaystyle \lambda(Q_i\cap\Omega)+\lambda(Q_i\cap\Omega^c) \end{array} \] für alle \( i=1,2,\ldots, \) und damit sowie unter Beachtung der Monotonie und der Subadditivität von \( \ell_n^* \) schätzen wir wie folgt ab \[ \begin{array}{l} \ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\cap\Omega^c) \\[1.6ex] \qquad\displaystyle \le\,\ell_n^*\left(\bigcup_{i\ge 1}Q_i\cap\Omega\right)+\ell_n^*\left(\bigcup_{i\ge 1}Q_i\cap\Omega^c\right) \\[1.6ex] \qquad\displaystyle \le\,\sum_{i\ge 1}\ell_n^*(Q_i\cap\Omega)+\sum_{i\ge 1}\ell_n^*(Q_i\cap\Omega^c) \\[1.6ex] \qquad\displaystyle =\,\sum_{i\ge 1}\lambda(Q_i\cap\Omega)+\sum_{i\ge 1}\lambda(Q_i\cap\Omega^c) \\[1.6ex] \qquad\displaystyle =\,\sum_{i\ge 1}\lambda(Q_i)\,=\,\sum_{i\ge 1}|Q_i|\,\le\,\ell_n^*(C)+\varepsilon. \end{array} \] Da \( \varepsilon\gt 0 \) beliebig gewählt wurde, folgt die Lebesguemessbarkeit von \( \Omega. \) Die verbleibende Behauptung \( \lambda(\Omega)=\ell_n^*(\Omega) \) folgt aus der bekannten Abschätzung \[ \lambda_*(\Omega)\le\ell_n^*(\Omega)\le\lambda^*(\Omega) \] und \( \lambda(\Omega)=\lambda_*(\Omega)=\lambda^*(\Omega). \) Damit ist alles bewiesen.\( \qquad\Box \)
Aus den vorigen Paragraphen kennen wir bereits einfache Beispiele Lebesguemessbarer Mengen. Die Frage, welche Mengen denn überhaupt Lebesguemessbar sind, ist nicht so unmittelbar zu beantworten. Vielmehr werden wir sehen, dass die Lebesguemessbaren Mengen einer gewissen algebraischen Struktur unterliegen. Dazu zunächst die
(i) | Es ist \( \emptyset\in{\mathcal A}. \) |
(ii) | Ist \( \Omega\in{\mathcal A}, \) so gilt auch \( \Omega^c\in{\mathcal A}. \) |
(iii) | Sind abzählbar endlich oder abzählbar unendlich viele \( \Omega_1,\Omega_2,\ldots\in{\mathcal A}, \) so gilt auch |
Als einfachste Beispiele solcher \( \sigma \)-Algebren nennen wir:
\( \circ \) | Es ist \( \{\emptyset,\mathbb R^n\} \) eine \( \sigma \)-Algebra, die sogenannte kleinste \( \sigma \)-Algebra zur Menge \( \mathbb R^n. \) |
\( \circ \) | Es ist die Potenzmenge \( {\mathcal P}(\mathbb R^n) \) eine \( \sigma \)-Algebra, die sogenannte größte \( \sigma \)-Algebra zur Menge \( \mathbb R^n. \) |
Die Sigma-Algebra der Lebesguemessbaren Mengen
Von besonderer Bedeutung ist nun der folgende, die Lebesguemessbaren Mengen charakterisierende Satz, der uns unseren Wünschen an eine allgemeine Maßfunktion so nah als nur möglich bringt.
Unseren Beweis dieses Satzes wollen wir in verschiedene Teilschritte zerlegen. Wir zeigen damit bereits für sich interessante Aussagen, die wir hier zunächst zusammengefasst auflisten wollen:
1. | Ist \( \Omega \) Lebesguemessbar, so auch das Komplement \( \Omega^c. \) |
2. | Sind \( \Omega_1 \) und \( \Omega_2 \) Lebesguemessbar, so auch \( \Omega_1\cup\Omega_2. \) |
3. | Sind \( \Omega_1 \) und \( \Omega_2 \) Lebesguemessbar, so auch \( \Omega_1\cap\Omega_2. \) |
4. | Sind \( \Omega_1 \) und \( \Omega_2 \) Lebesguemessbar, so auch \( \Omega_1\setminus\Omega_2. \) |
5. | Die Vereinigung abzählbar viele Lebesguemessbarer Mengen ist Lebesguemessbar. |
6. | Es gilt Additivität des äußeren Lebesguemaßes innerhalb des Systems der Lebesguemessbaren Mengen. |
Punkt 5 werden wir nur für paarweise disjunkte Mengen \( \Omega_k \) zeigen. Dass das keine Einschränkung bedeutet, begründen wir im nächsten Paragraphen.
Wir gehen in mehreren Schritten vor.
1. | Diese Aussage kennen wir als eines unserer ersten Beispiele Lebesguemessbarer Mengen. |
2. | Es seien \( \Omega_1 \) und \( \Omega_2 \) Lebesguemessbar. Zunächst machen wir uns klar |
\[ \begin{array}{l} C\cap(\Omega_1\cup\Omega_2)=(C\cap\Omega_1)\cup(C\cap\Omega_1^c\cap\Omega_2), \\[0.8ex] C\cap(\Omega_1^c\cap\Omega_2^c)=C\cap(\Omega_1\cup\Omega_2)^c\,. \end{array} \]
Für die erste Behauptung beachten wir nach den Distributivgesetzen |
\[ \begin{array}{rcl} C\cap(\Omega_1\cup\Omega_2)\!\!\! & = & \!\!\! C\cap\big[\mathbb R^n\cap(\Omega_1\cup\Omega_2)\big] \\[0.8ex] & = & \!\!\! C\cap\big[(\Omega_1\cup\Omega_1^c)\cap(\Omega_1\cup\Omega_2)\big] \\[0.8ex] & = & \!\!\! C\cap\big[\Omega_1\cup(\Omega_1^c\cap\Omega_2)\big] \\[0.8ex] & = & \!\!\! (C\cap\Omega_1)\cup(C\cap\Omega_1^c\cap\Omega_2), \end{array} \]
während die zweite Aussage sofort aus den de Morganschen Gesetzen folgt. Die Subadditivität von \( \ell_n^* \) liefert nun (in der ersten Zeile benutzen wir die Lebesguemessbarkeit von \( \Omega_1, \) in der zweiten Zeile die von \( \Omega_2, \) in der vierten Zeile verwenden wir die vorigen Identitäten) |
\[ \begin{array}{lll} \ell_n^*(C)\!\!\! & = & \!\!\!\displaystyle \ell_n^*(C\cap\Omega_1)+\ell_n^*(C\cap\Omega_1^c) \\[0.8ex] & = & \!\!\!\displaystyle \ell_n^*(C\cap\Omega_1)+\ell_n^*((C\cap\Omega_1^c)\cap\Omega_2)+\ell_n^*((C\cap\Omega_1^c)\cap\Omega_2^c) \\[0.8ex] & \ge & \!\!\!\displaystyle \ell_n^*((C\cap\Omega_1)\cup(C\cap\Omega_1^c)\cap\Omega_2)+\ell_n^*((C\cap\Omega_1^c)\cap\Omega_2^c) \\[0.8ex] & = & \!\!\!\displaystyle \ell_n^*(C\cap(\Omega_1\cup\Omega_2))+\ell_n^*(C\cap(\Omega_1\cup\Omega_2)^c) \\[0.8ex] & \ge & \!\!\!\displaystyle \ell_n^*(C). \end{array} \]
Das zeigt die Lebesguemessbarkeit von \( \Omega_1\cup\Omega_2. \) | |
3. | Da mit \( \Omega_1 \) und \( \Omega_2 \) auch \( \Omega_1^c \) und \( \Omega_2^c \) Lebesguemessbar sind, schließen wir mit den ersten beiden Aussagen auf Grund von |
\[ \Omega_1\cap\Omega_2=(\Omega_1^c\cup\Omega_2^c)^c \]
auf die Lebesguemessbarkeit von \( \Omega_1\cap\Omega_2. \) | |
4. | Sind \( \Omega_1 \) und \( \Omega_2 \) Lebesguemessbar, so auch \( \Omega_2^c \) nach der ersten Aussage und damit auch die Differenz |
\[ \Omega_1\setminus\Omega_2=\Omega_1\cap\Omega_2^c\,. \]
5. | Betrachte nun den Fall abzählbarer Vereinigungen |
\[ \Omega_1\cup\Omega_2\cup\Omega_3\ldots \]
unter der Voraussetzung, dass die Lebesguemessbaren Mengen \( \Omega_k \) paarweise disjunkt sind. Wir beginnen mit (verwende \( \Omega_1\cup\Omega_2 \) als die Menge \( C \) und beachte die Lebesguemessbarkeit von \( \Omega_2 \)) |
\[ \begin{array}{lll} \ell_n^*(\Omega_1\cup\Omega_2)\!\!\! & = & \!\!\!\displaystyle \ell_n^*((\Omega_1\cup\Omega_2)\cap\Omega_2)+\ell_n^*((\Omega_1\cup\Omega_2)\cap\Omega_2^c) \\[0.8ex] & = & \!\!\!\displaystyle \ell_n^*(\Omega_2)+\ell_n^*(\Omega_1), \end{array} \]
denn neben \( (\Omega_1\cup\Omega_2)\cap\Omega_2=\Omega_2 \) gilt wegen der Disjunktheit von \( \Omega_1 \) und \( \Omega_2 \) auch |
\[ (\Omega_1\cup\Omega_2)\cap\Omega_2^c=\Omega_1\,. \]
Hieraus schließen wir induktiv auf endliche Additivität (bei Disjunktheit!) |
\[ \ell_n^*\left(\,\bigcup_{k=1}^p\Omega_k\right)=\ell_n^*(\Omega_1)+\ldots+\ell_n^*(\Omega_p). \]
Damit schließen wir (jetzt ist \( C\cap(\Omega_1\cup\ldots\cup\Omega_p) \) die Menge \( C, \) weiter sind \( \Omega_p \) und \( \Omega_p^c \) Lebesguemessbar, und wegen der paarweisen Disjunktheit der \( \Omega_k \) ist die paarweise Disjunktheit der \( C\cap\Omega_k \) zu beachten) |
\[ \begin{array}{l} \displaystyle \ell_n^*\left(C\cap\bigcup_{k=1}^p\Omega_k\right) \\[3ex] \displaystyle\qquad =\,\ell_n^*\left(C\cap\left[\,\bigcup_{k=1}^p\Omega_k\right]\cap\Omega_p\right) +\ell_n^*\left(C\cap\left[\,\bigcup_{k=1}^p\Omega_k\right]\cap\Omega_p^c\right) \\[3ex] \displaystyle\qquad =\,\ell_n^*(C\cap\Omega_p)+\ell_n^*\left(C\cap\bigcup_{k=1}^{p-1}\Omega_k\right) \\[3ex] \displaystyle\qquad =\,\ell_n^*(C\cap\Omega_p)+\ell_n^*\left(\bigcup_{k=1}^pC\cap\Omega_k\right) \\[3ex] \displaystyle\qquad =\,\ell_n^*(C\cap\Omega_p)+\sum_{k=1}^{p-1}\ell_n^*(C\cap\Omega_k) \,=\,\sum_{k=1}^p\ell_n^*(C\cap\Omega_k). \end{array} \]
Hiermit in Verbindung mit der gezeigten Lebesguemessbarkeit der endlichen Vereinigung \( \Omega_1\cup\ldots\cup\Omega_p \) folgt |
\[ \begin{array}{lll} \ell_n^*(C)\!\!\! & = & \!\!\!\displaystyle \ell_n^*\left(C\cap\left[\,\bigcup_{k=1}^p\Omega_k\right]\right) +\ell_n^*\left(C\cap\left[\,\bigcup_{k=1}^p\Omega_k\right]^c\right) \\[3ex] & = & \!\!\!\displaystyle \sum_{k=1}^p\ell_n^*(C\cap\Omega_k) +\ell_n^*\left(C\cap\left[\,\bigcup_{k=1}^p\Omega_k\right]^c\right) \\[3ex] & \ge & \!\!\!\displaystyle \sum_{k=1}^p\ell_n^*(C\cap\Omega_k)+\ell_n^*\left(C\cap\left[\,\bigcup_{k=1}^\infty\Omega_k\right]^c\right) \end{array} \]
für alle \( p\in\mathbb N, \) so dass wir nach Grenzübergang \( p\to\infty \) und aus der Subadditivität des äußeren Lebesguemaßes schließen |
\[ \begin{array}{lll} \ell_n^*(C) & \ge & \displaystyle \sum_{k=1}^\infty\ell_n^*(C\cap\Omega_k)+\ell_n^*\left(C\cap\left[\,\bigcup_{k=1}^\infty\Omega_k\right]^c\right) \\[3ex] & \ge & \displaystyle \ell_n^*\left(C\cap\left[\,\bigcup_{k=1}^\infty\Omega_k\right]\right)+\ell_n^*\left(C\cap\left[\,\bigcup_{k=1}^\infty\Omega_k\right]^c\right), \end{array} \]
womit die Lebesguemessbarkeit der abzählbaren Vereinigung \( \Omega_1\cup\Omega_2\cup\ldots \) nachgewiesen ist. | |
6. | Es verbleibt ein Nachweis der behaupteten Additivität. Seien dazu wieder \( \Omega_k, \) \( k=1,2,\ldots, \) paarweise disjunkt, so gilt zunächst für fest gewähltes \( p\in\mathbb N \) endliche Additivität nach dem vorigen Beweispunkt. Der Monotonie und der Subadditivität des äußeren Lebesguemaßes entnehmen wir |
\[ \sum_{k=1}^p\ell_n^*(\Omega_k) =\ell_n^*\left(\,\bigcup_{k=1}^p\Omega_k\right) \le\ell_n^*\left(\,\bigcup_{k=1}^\infty\Omega_k\right) \le\sum_{k=1}^\infty\ell_n^*(\Omega_k), \]
und zwar für alle \( p\in\mathbb N. \) Grenzübergang \( p\to\infty \) liefert |
\[ \sum_{k=1}^\infty\ell_n^*(\Omega_k) \le\ell_n^*\left(\,\bigcup_{k=1}^\infty\Omega_k\right) \le\sum_{k=1}^\infty\ell_n^*(\Omega_k), \]
d.h. es gilt Gleichheit und damit Additivität. |
Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Zum Beweis der Lebesguemessbarkeit der Vereinigung abzählbar vieler Lebesguemessbarer Mengen haben wir nur paarweise disjunkte Mengen \( \Omega_1,\Omega_2,\ldots \) zugelassen. Das war aber kein Einschränkung:
Betrachte nämlich statt der \( \Omega_k \) die neuen, paarweise disjunkten Mengen \[ \Theta_1:=\Omega_1\,,\quad \Theta_2:=\Omega_2\setminus\Omega_1\,,\quad \Theta_3:=\Omega_3\setminus(\Omega_1\cup\Omega_2) \quad\text{usw.} \] bzw. allgemein \[ \Theta_k:=\Omega_k\setminus\bigcup_{k=1}^{k-1}\Omega_k\quad\text{für}\ k=2,3,\ldots \] Nach den Beweispunkten 1 und 4 schließen wir nach vollständiger Induktion, dass jede einzelne Menge \( \Theta_k \) Lebesguemessbar ist. Der Beweispunkt 5 zeigt ferner, dass dann auch die abzählbare Vereinigung der \( \Theta_k \) Lebesguemessbar ist. Können wir nun noch die Mengenidentität \[ \bigcup_{k=1}^\infty\Theta_k=\bigcup_{k=1}^\infty\Omega_k \] beweisen, so folgt die Lebesguemessbarkeit der abzählbaren Vereinigung \( \Omega_1\cup\Omega_2\cup\ldots \)
Wir gehen in mehreren Schritten vor.
1. | Zunächst gelten nach Definition |
\[ \Theta_j\subseteq\Omega_j\quad\text{für alle}\ j=1,2,\ldots \]
Bedeutet \( \sigma\subseteq\mathbb N \) irgendeine Abzählung, so folgt |
\[ \bigcup_{i\in\sigma}\Theta_i\subseteq\bigcup_{i\in\sigma}\Omega_i\,. \]
2. | Wir zeigen die inverse Inklusion. Sei ein \( x\in\Omega_1\cup\Omega_2\cup\ldots \) beliebig gewählt. Dann existiert ein \( \Omega_k \) mit \( x\in\Omega_k. \) Ist \( k=1, \) d.h. \( x\in\Omega_1, \) so ist wegen \( \Omega_1=\Theta_1 \) auch \( x\in\Theta_1, \) und es gilt die behauptete Mengeninklusion. Ist \( k\gt 1, \) so wählen wir den kleinsten Index \( k\in\mathbb N \) mit der Eigenschaft \( x\in\Omega_k, \) d.h. |
\[ x\in\Omega_k\,,\quad\text{aber}\ x\not\in A_i\ \text{für alle}\ i=1,\ldots,k-1. \]
Da nun aber \( \Omega_1\cup\ldots\cup\Omega_{k-1}\not\subseteq\Theta_k, \) folgt \( x\in\Theta_k \) nach Definition von \( \Theta_k, \) also |
\[ x\in\Theta_k\subseteq\bigcup_{i=1}^\infty\Theta_k \]
und damit die behauptete Mengeninklusion. |
Zusammengefassend folgt die gewünschte Mengenidentität.\( \qquad\Box \)
Lebesguemessbarkeit offener und abgeschlossener Mengen
Von besonderer Bedeutung ist nun der folgende, die Lebesguemessbaren Mengen charakterisierende Satz, der uns unseren Wünschen an eine allgemeine Maßfunktion so nah als nur möglich bringt.
\( \circ \) | alle offenen und |
\( \circ \) | und alle abgeschlossenen Teilmengen des \( \mathbb R^n. \) |
Wir zeigen zunächst, dass jede offene Teilmenge \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) als abzählbare Vereinigung abgeschlossener Würfel geschrieben werden kann.
1. | Im ersten Schritt betrachten wir Quader |
\[ \{(x_1,\ldots,x_n)\in\mathbb R^n\,:\,a_i\le x_i\le a_i+1\ \text{für}\ i=1,\ldots,n\} \]
mit \( a_i\in\mathbb Z, \) also alle abgeschlossenen Quader mit Seitenlänge \( 1 \) und ganzzahligen Eckpunkten, die auf diese Weise das Gitter \( \mathbb Z^n \) bilden. Wir denken uns alle Quader hieraus markiert, welche vollständig in \( \Omega \) liegen, während die Quader, welche vollständig außerhalb von \( \Omega \) liegen, verworfen werden. Schließlich merken wir uns noch die Quader vor, welche mit \( \Omega \) als auch mit dem Komplement \( \Omega^c \) einen nichtleeren Durchschnitt besitzen. | |
2. | Die im ersten Schritt vorgemerkten Quader unterteilen wir in \( 2^n \) neue, abgeschlossene und kongruente Teilquader, und von diesen markieren, verwerfen oder merken sie uns Quader vor, und zwar wieder je nach ihrer Lage bezüglich \( \Omega. \) |
3. | Auf diese Weise fortfahrend, erhalten wir eine abzählbare Folge von markierten Quadern \( Q_1,Q_2,\ldots, \) deren abzählbare Vereinigung gleich der offenen Menge \( \Omega \) ist. Denn einerseits ist, da jeder markierte Quader in \( \Omega \) enthalten ist, |
\[ \bigcup_{k\ge 1}Q_k\subseteq\Omega, \]
und wählen wir andererseits ein \( x\in\Omega \) beliebig, so existiert, da \( x \) innerer Punkt ist, ein markierter Quader \( Q \) mit \( x\in Q, \) d.h. es gilt auch |
\[ \Omega\subseteq\bigcup_{k\ge 1}Q_k\,. \]
Aus der Jordanmessbarkeit abgeschlossener Quader folgt ihre Lebesguemessbarkeit und damit auch die Lebesguemessbarkeit abzählbar vieler solcher Quader. Also ist auch die offene Menge \( \Omega\subseteq\mathbb R^n \) Lebesguemessbar. Als Komplemente von offenen und damit Lebesguemessbaren Mengen sind auch die abgeschlossenen Mengen Lebesguemessbar. Damit ist alles gezeigt.\( \qquad\Box \)
Das äußere Lebesguemaß ist additiv auf der \( \sigma \)-Algebra \( {\mathcal A} \) aller Mengen, die das Caratheodorysche Messbarkeitskriterium erfüllen. Insbesondere sind offene und auch abgeschlossene Mengen in \( {\mathcal A} \) enthalten.
Als Übung belassen wir zu zeigen, dass es sich bei der Borelschen \( \sigma \)-Algebra tatsächlich um eine \( \sigma \)-Algebra im Sinne unserer Definition. Ferner notieren wir noch ohne Beweis den
Die Umkehrung dieser Aussage ist falsch, was durch Beispiele belegt werden kann. Hierauf gehen wir an dieser Stelle jedoch nicht ein.
Borelmengen sind beispielsweise
\( \circ \) | alle beschränkten offenen und abgeschlossenen Teilmengen des \( \mathbb R^n; \) |
\( \circ \) | jede Menge, die als abzählbare (unendliche) Vereinigung oder als abzählbarer (unendlicher) Durchschnitt von Borelmengen darstellbar ist. |
Beispielsweise lassen sich gewöhnliche Punkte \[ \{x_0\}=\bigcap_{k=1}^\infty\left(x_0-\frac{1}{k},x_0+\frac{1}{k}\right) \] auf der Zahlengeraden \( \mathbb R \) als abzählbarer Durchschnitt beschränkter offener Teilmengen aus \( \mathbb R \) darstellen und sind damit Lebesguemessbar mit \( \ell_n^*(\{x_0\})=0. \)
Aus den vorigen Paragraphen kennen wir bereits einfache Beispiele Lebesguemessbarer Mengen. Die Frage, welche Mengen denn überhaupt Lebesguemessbar sind, ist nicht so unmittelbar zu beantworten. Vielmehr werden wir sehen, dass die Lebesguemessbaren Mengen einer gewissen algebraischen Struktur unterliegen. Dazu zunächst die
(i) | \( \Omega \) ist Lebesguemessbar im Caratheodoryschen Sinn. |
(ii) | Zu beliebigem \( \varepsilon\gt 0 \) existiert eine offene Menge \( \Sigma\supseteq\Omega \) mit |
(iii) | Zu beliebigem \( \varepsilon\gt 0 \) existiert eine abgeschlossene Menge \( \Theta\subseteq\Omega \) mit |
1. | Wir zeigen (i)\( \,\to\, \)(ii). Sei zunächst \( \ell_n^*(\Omega)\lt\infty \) vorausgesetzt. Nach Definition von \( \ell_n^* \) existieren abzählbar viele offene und beschränkte Quader \( Q_k\subset\mathbb R^n \) mit |
\[ \begin{array}{l} \displaystyle \Omega\subseteq\bigcup_{k\ge 1}Q_k \quad\text{sowie} \\[2ex] \displaystyle \ell_n^*(\Omega)\le\ell_n^*\left(\bigcup_{k\ge 1}Q_k\right)\lt\ell_n^*(\Omega)+\varepsilon. \end{array} \]
Das Caratheodorysche Messbarkeitskriterium liefert wegen der Lebesguemessbarkeit von \( \Omega \) |
\[ \begin{array}{lll} \displaystyle \ell_n^*\left(\bigcup_{k\ge 1}Q_k\right) & = & \displaystyle\!\!\! \ell_n^*\left(\left[\bigcup_{k\ge 1}Q_k\right]\cap\Omega\right)+\ell_n^*\left(\left[\bigcup_{k\ge 1}Q_k\right]\setminus\Omega\right) \\[2ex] & = & \displaystyle\!\!\! \ell_n^*(\Omega)+\ell_n^*\left(\left[\bigcup_{k\ge 1}Q_k\right]\setminus\Omega\right). \end{array} \]
Subtraktion von \( \ell_n^*(\Omega) \) bringt mit der obigen Abschätzung |
\[ \ell_n^*\left(\left[\bigcup_{k\ge 1}Q_k\right]\setminus\Omega\right) =\ell_n^*\left(\bigcup_{k\ge 1}Q_k\right)-\ell_n^*(\Omega) \lt\varepsilon, \]
was wegen der Offenheit der \( Q_k \) die behauptete Implikation zeigt. Im Fall \( \ell_n^*(\Omega)=\infty \) führen wir die Argumentation für ausschöpfende Mengen \( \Omega_m:=\Omega\cap[-m,m]^n. \) | |
2. | Wir zeigen (ii)\( \,\to\, \)(i). Nach Voraussetzung existiert zu \( \varepsilon\gt 0 \) eine offene und damit Lebesguemessbare Menge \( \Sigma\subseteq\mathbb R^n \) mit |
\[ \ell_n^*(\Sigma\setminus\Omega)\lt\varepsilon. \]
Sei \( C\subseteq\mathbb R^n \) beliebig gewählt. Auf Grund der Identität |
\[ C\setminus\Omega=(C\setminus\Sigma)\cup[(C\cap\Sigma)\setminus\Omega], \]
die wir unter Beachtung von \( \Omega\subseteq\Sigma \) im Anschluss beweisen, folgt mit der Monotonie von \( \ell_n^* \) |
\[ \begin{array}{lll} \ell_n^*(C\setminus\Omega)\!\!\! & \le & \!\!\! \ell_n^*(C\setminus\Sigma)+\ell_n^*((C\cap\Sigma)\setminus\Omega) \\[0.8ex] & \le & \!\!\! \ell_n^*(C\setminus\Sigma)+\ell_n^*(\Sigma\setminus\Omega) \\[0.8ex] & \lt & \!\!\! \ell_n^*(C\setminus\Sigma)+\varepsilon. \end{array} \]
Die Lebesguemessbarkeit von \( \Sigma \) liefert, wieder wegen \( \Omega\subseteq\Sigma, \) |
\[ \begin{array}{lll} \ell_n^*(C)\!\!\! & = & \displaystyle\!\!\! \ell_n^*(C\cap\Sigma)+\ell_n^*(C\setminus\Sigma) \\[0.8ex] & \gt & \displaystyle\!\!\! \ell_n^*(C\cap\Sigma)+\ell_n^*(C\setminus\Omega)-\varepsilon \\[0.8ex] & \gt & \displaystyle\!\!\! \ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\setminus\Omega)-\varepsilon. \end{array} \]
Zusammen mit der Subadditivität von \( \ell_n^* \) ist also |
\[ \ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\setminus\Omega)-\varepsilon \lt\ell_n^*(C) \le\ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\setminus\Omega) \]
für alle \( \varepsilon\gt 0. \) Das zeigt die Implikation (ii)\( \,\to\, \)(i). | |
3. | Wir zeigen (i)\( \,\to\, \)(iii). Mit \( \Omega \) ist auch das Komplement \( \Omega^c \) Lebesguemessbar. Nach (ii) existiert also zu jedem \( \varepsilon\gt 0 \) eine offene Menge \( \Sigma\subseteq\mathbb R^n \) mit |
\[ \Omega^c\subseteq\Sigma\quad\text{und}\quad\ell_n^*(\Sigma\setminus\Omega^c)\lt\varepsilon. \]
Wir setzen nun |
\[ \Theta:=\mathbb R^n\setminus\Sigma=\Sigma^c\,. \]
Dann ist \( \Theta \) abgeschlossen und genügt der Inklusion |
\[ \Theta\subseteq\Omega. \]
denn wir verifizieren |
\[ x\in\Theta\quad\longrightarrow\quad x\in\Sigma^c\quad\longrightarrow\quad x\in\Omega \]
nach Negation von \( \Omega^c\subseteq\Sigma, \) was nämlich auf \( \Sigma^c\subseteq\Omega \) führt. Im anschließenden Paragraphen holen wir einen Nachweis der Mengenidentität |
\[ \Omega\setminus\Theta=\Sigma\setminus\Omega^c \]
nach, woraus wir schließen |
\[ \ell_n^*(\Omega\setminus\Theta)=\ell_n^*(\Sigma\setminus\Omega^c)\lt\varepsilon. \]
Das zeigt die Implikation (i)\( \,\to\, \)(iii). | |
4. | Wir zeigen (iii)\( \,\to\, \)(i). Nach Voraussetzung existiert zu \( \varepsilon\gt 0 \) eine abgeschlossene und damit Lebesguemessbare Menge \( \Theta\subseteq\Omega \) mit |
\[ \ell_n^*(\Omega\setminus\Theta)\lt\varepsilon. \]
Sei \( C\subseteq\mathbb R^n \) beliebig gewählt. Auf Grund der im Nachtrag zu zeigenden Mengenidentität |
\[ C\cap\Omega=(C\cap\Theta)\cup[(\Omega\setminus\Theta)\cap C] \]
folgt mit der Monotonie von \( \ell_n^* \) |
\[ \begin{array}{rcl} \ell_n^*(C\cap\Omega)\!\!\! & \le & \!\!\! \ell_n^*(C\cap\Theta)+\ell_n^*((\Omega\setminus\Theta)\cap C) \\[0.8ex] & \le & \!\!\! \ell_n^*(C\cap\Theta)+\ell_n^*(\Omega\setminus\Theta) \\[0.8ex] & \lt & \!\!\! \ell_n^*(C\cap\Theta)+\varepsilon. \end{array} \]
Die Lebesguemessbarkeit von \( \Theta \) liefert unter Beachtung von \( \Theta\subseteq\Omega \) |
\[ \begin{array}{rcl} \ell_n^*(C)\!\!\! & = & \!\!\! \ell_n^*(C\cap\Theta)+\ell_n^*(C\setminus\Theta) \\[0.8ex] & \ge & \!\!\! \ell_n^*(C\cap\Theta)+\ell_n^*(C\setminus\Omega) \\[0.8ex] & \gt & \!\!\! \ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\setminus\Omega)-\varepsilon. \end{array} \]
Zusammen mit der Subadditivität von \( \ell_n^* \) ist also |
\[ \ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\setminus\Omega)-\varepsilon\lt\ell_n^*(C)\le\ell_n^*(C\cap\Omega)+\ell_n^*(C\setminus\Omega) \]
für alle \( \varepsilon\gt 0. \) Das zeigt die Implikation (iii)\( \,\to\, \)(i). |
Damit ist alle bewiesen.\( \qquad\Box \)
Im Beweis des vorigen Satzes haben wir folgende Mengenidentitäten verwendet \[ C\setminus\Omega=(C\setminus\Sigma)\cup[(\Sigma\cap C)\setminus\Omega] \] für beliebige Mengen \( C,\Sigma\subseteq\mathbb R \) und \( \Omega\subseteq\Sigma \) in zweiten Beweispunkt, dann \[ \Omega\setminus\Theta=\Sigma\setminus\Omega^c \] für die abgeschlossene Menge \( \Omega\subseteq\Omega \) und ferner \( \Omega^c\subseteq\Sigma \) sowie \( \Theta=\Sigma^c \) im dritten Beweispunkt, und mit diesen Setzungen im vierten Beweispunkt schließlich \[ C\cap\Omega=(C\cap\Theta)\cup[(\Omega\setminus\Theta)\cap C]. \] Wir wollen an dieser Stelle Nachweise dieser Identitäten nachholen.
1. | Unter Beachtung von \( \Omega\subseteq\Sigma \) in der fünften Zeile gehen wir wie folgt vor: |
\[ \begin{array}{lll} x\in C\setminus\Omega & \longleftrightarrow & (x\in C)\wedge(x\not\in\Omega) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & [x\in C\wedge(x\not\in\Sigma\vee x\in\Sigma)]\wedge(x\not\in\Omega) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & [(x\in C\wedge x\not\in\Sigma)\vee(x\in C\wedge x\in\Sigma)]\wedge(x\not\in\Omega) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & (x\in C\wedge x\not\in\Sigma\wedge x\not\in\Omega)\vee(x\in C\wedge x\in\Sigma\wedge x\not\in\Omega) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & (x\in C\wedge x\not\in\Sigma)\vee(x\in C\wedge x\in\Sigma\wedge x\not\in\Omega) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & (x\in C\setminus\Sigma)\vee[x\in(C\cap\Sigma)\setminus\Omega] \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & x\in(C\setminus\Sigma)\cup[(C\cap\Sigma)\setminus\Omega]. \end{array} \]
Das zeigt die erste Behauptung. | |
2. | Wir gehen wir wie folgt vor: |
\[ \begin{array}{lll} x\in\Omega\setminus\Theta & \longleftrightarrow & (x\in\Omega)\wedge(x\not\in\Theta) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & (x\in\Omega)\wedge(x\not\in\Sigma^c) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & (x\in\Omega)\wedge(x\in\Sigma) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & (x\in\Sigma)\wedge(x\not\in\Omega^c) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & x\in\Sigma\setminus\Omega^c\,. \end{array} \]
Das zeigt die zweite Behauptung. | |
3. | Unter Beachtung von \( \Theta\subseteq\Omega \) in der fünften Zeile gehen wir wie folgt vor: |
\[ \begin{array}{rcl} x\in C\cap\Omega & \longleftrightarrow & (x\in C)\wedge(x\in\Omega) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & [(x\in C)\wedge(x\in\Theta\vee x\not\in\Theta)]\wedge(x\in\Omega) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & [(x\in C\wedge x\in\Theta)\vee(x\in C\wedge x\not\in\Theta)]\wedge(x\in\Omega) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & (x\in C\wedge x\in\Theta\wedge x\in\Omega)\vee(x\in C\wedge x\not\in\Theta\wedge x\in\Omega) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & (x\in C\wedge x\in\Theta)\vee(x\in C\wedge x\not\in\Theta\wedge x\in\Omega) \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & (x\in C\cap\Theta)\vee[(x\in\Omega\setminus\Theta)\cap C] \\[0.8ex] & \longleftrightarrow & x\in(C\cap\Theta)\cup[(\Omega\setminus\Theta)\cap C]. \end{array} \]
Das zeigt die dritte Behauptung. |
Damit ist alles bewiesen.\( \qquad\Box \)